Wilhelm Neurohr, Gelsenkirchen
– Es gilt das gesprochene Wort –
„Abrüsten statt Aufrüsten“
Liebe Friedensfreunde und -freundinnen,
der 24. Februar 2022 war der schwärzeste Tag in Europa seit Jahrzehnten: Wir haben seit 14 Monaten wieder Krieg in Europa − aber nicht in unserem Namen!
Waren die Opfer des 2. Weltkrieges nicht genug − mit einer traurigen Bilanz:
- 8 Mio. Todesopfer in Deutschland,
- 24 Mio. Menschen wurden in der Sowjetunion von den Faschisten getötet,
- und fast 70 Mio. Tote verursachte der Weltkrieg weltweit
Nur 45 Jahre später erlebten wir einen schlimmen Rückfall in Europa − mit dem völkerrechtswidrigen Balkan-Krieg in den 1990-er Jahren.
Mit 200.000 Todesopfern und Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen.
Und nun tobt in Europa der ebenso völkerrechtswidrige und grausame Ukraine-Krieg, dessen Ende nicht absehbar ist − und der aufs Schärfste zu verurteilen ist.
20 Millionen Menschen sind aus dem Land geflohen.
Wir erleben dort eine Orgie von Gewalt, Zerstörung und Selbstzerstörung.
Wir erleben Kriegsverbrechen, Folter, traumatisierte und verkrüppelte Menschen.
Aktuell schätzt man im Ukraine-Krieg bereits eine 6-stellige Zahl von Toten und Verletzten, mehrere Hunderttausend Menschen. Darunter fast 20.000 Zivilisten und 1.300 Kinder.
Tag für Tag werden allein auf russischer Seite 500 bis 1.000 junge Soldaten auf dem Schlachtfeld getötet oder verkrüppelt − junge Männer, die als Kanonenfutter zwangsweise einberufen wurden. Die Lebenserwartung an der Frontlinie beträgt 4 Stunden.
Die wirklichen Zahlen werden verschwiegen, verschleiert oder von Propaganda verfälscht. Das erste Opfer im Krieg ist immer die Wahrheit, die durch die Lüge ersetzt wird.
In Kriegen verlieren wir die Menschlichkeit und die Menschenwürde. Menschen werden zu Barbaren.
Auch die heruntergespielte Gefahr eines Atomkrieges oder Weltkrieges ist nicht gebannt. Die Atomwaffen rücken bis nach Belarus vor, sie lagern aber auch in Rheinland-Pfalz. Und die NATO will sich das Recht auf präventive Erstschläge sichern. Der Schatten eines Atomkrieges liegt über Europa.
Die Wahrheit muss ausgesprochen werden:
Jeder Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit!
Ein Krieg kann niemals Sieger oder Gewinner hervorbringen − sondern immer nur Opfer und Verlierer auf beiden Seiten.
Der Krieg ist eine einzige Niederlage − eine Niederlage für die Menschheit und die Zivilisation. Krieg ist immer Ausdruck politischen und menschlichen Versagens.
Der einzige Sieger ist die Rüstungsindustrie, deren Gewinne explodieren − und sich gerade verdoppeln.
Dadurch weitet sich der Krieg aus. Er wird endlos verlängert, als Materialschlacht und Abnutzungskrieg, mit einer Pattsituation.
Liebe Friedensfreunde,
es muss deshalb alles Menschenmögliche getan werden, um den Krieg zu beenden und den Frieden wieder herzustellen!
Darum fordern wir:
- Stoppt das Töten in der Ukraine!
- Beendet die gefährliche Eskalationsspirale!
Die Waffen müssen schweigen!
Wir treten ein für Waffenstillstand und Verhandlungen − und zwar sofort!
Deshalb sind wir hier und heute am Ostersonntag auf einer Demonstration für den Frieden.
Doch der Frieden liegt nicht als Geschenk im heutigen Oster-Nest!
Man muss ihn entwickeln, erarbeiten und verhandeln. Bloße Apelle und Aufrufe helfen nicht weiter. Es muss politisch gehandelt werden!!
Das Recht der Ukrainer auf Selbstverteidigung ist anzuerkennen. Aber wir stehen an der Seite derer, die die Logik des Krieges durchbrechen. Wenn es um Leben und Tod geht, kann die militärische Offensive nicht der alternativlose Weg sein. Kriegerisches Denken und militärisches Handeln ist ein Rückfall ins vorige Jahrhundert. Europa hat 2012 den Friedensnobelpreis erhalten. Lasst uns dessen würdig erweisen!
Deshalb sind wir sind hier und heute auf einer Demonstration für den Frieden:
Wir wollen den Frieden gewinnen − nicht den Krieg!
Im Krieg verlieren auch die Sieger!
Und den Frieden gewinnt man nicht mit gigantischer Aufrüstung, sondern mit Abrüstung!
Dazu gehört auch die atomare Abrüstung.
Dieser Krieg kann nur durch Diplomatie beendet werden.
Deshalb fordern wir: Stoppt zuerst die gefährliche Eskalationsspirale!
Politik muss mehr sein als nur Waffen zu liefern.
Tödliche Waffen als Lebensretter − welch eine Logik!
Auch Verteidigungswaffen töten Menschen.
„Waffenexporte sind Exporte des Todes“, so sagte Friedensnobelpreisträger Willy Brandt.
Friedensverhandlungen anzustreben, bedeutet nicht, den völkerrechtswidrigen Überfall auf die Ukraine zu legitimieren.
Natürlich verurteilen wir den zerstörerischen und blutigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine mitsamt Kriegsverbrechen aufs Schärfste.
Ebenso wie wir den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der USA auf den Irak vor genau 20 Jahren verurteilt haben. (Beide Kriege wurden übrigens von den Angreifern als bloße „Militäroperation“ bezeichnet).
Aber fällt uns diesmal nicht mehr ein, als nur immer noch mehr und schwerere Waffen zu liefern − und Rüstungsausgaben hochzufahren?
Und damit den Krieg und das Leiden der Menschen zu verlängern?
Je länger der Krieg dauert, desto schwieriger wird es, einen Verhandlungsfrieden zu erzielen
Indirekt ist Deutschland mit seiner Beteiligung an der Materialschlacht längst an der Schwelle zur Kriegspartei. (Schon werden Vergleiche gezogen zu der längsten und verlustreichsten „Schlacht von Verdun“ 1916 im ersten Weltkrieg).
Friedenspolitik ist etwas anderes als „Sicherheitspolitik“: Letztere ist waffenstrotzende „Abschreckungspolitik“. Wer seine Existenz mit blutigen Opfern und Waffen verteidigt, kann nicht als Bollwerk für die europäische Idee von Freiheit gelten. Es gibt auch zivilen Widerstand und Kriegsdienstverweigerung.
Umfragen seit Kriegsbeginn bis heute zeigen:
Eine Mehrheit der Bevölkerung plädiert für diplomatische Verhandlungen − und gegen die weitere Lieferung schwerer Waffen. Wir sind also auf dieser heutigen Friedendemonstration nicht eine Minderheit, sondern wir repräsentieren das Anliegen der Mehrheit − mindestens aber der Hälfte der Bevölkerung.
Und eine Dreiviertel Millionen Menschen haben jüngst einen Friedensaufruf unterschrieben und zu Zigtausenden in Berlin demonstriert. Dafür werden sie in die linke oder rechte Ecke gestellt. Jetzt gibt es einen Aufruf aus der Mitte. Dazu werden die prominenten Unterzeichner als senile Rentner verspottet, ob ehemalige Gewerkschaftsvorsitzende, Ex-Minister oder Bundestagspräsidenten und Wissenschaftler.
Aber wir müssen als Stimme für den Frieden noch viel mehr und viel lauter werden! Der diesjährige Ostermarsch soll zum Auftakt einer neuen, starken Friedensbewegung beitragen. Die Zivilbevölkerung in aller Welt will eine gewaltfreie Lösung politischer Konflikte. Wir fühlen uns dem Friedensgebot in der Präambel des Grundgesetzes verpflichtet. Das Grundgesetz toleriert die Unterstützung einer Kriegspartei nur dann, wenn diese geeignet sind, eine friedliche Lösung zu ermöglichen.
Und wir halten uns an die der Charta der Vereinten Nationen.
Diese beginnt mit den Worten: „Wir, die Völker dieser Welt, sind fest entschlossen, künftige Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren“. Denn die Zukunft unserer Kinder und Enkel steht auf dem Spiel.
Rüstungsproduktion und Kriege sind die größten Klima-Killer!
Für eine friedliche Welt seid ihr alle hier nach Gelsenkirchen gekommen.
In die ärmste Stadt Deutschlands, wo jedes zweite Kind von Armut betroffen ist.
Die Kinder benötigen nur einen winzigen Bruchteil des Geldes, das derzeit für Rüstung, Waffen und Militär ausgegeben wird. Doch die Lobby der Rüstungsindustrie ist stärker als die Lobby für Kinder, die keine Zukunft haben. Denn 6-stellige Rüstungsausgaben haben in der Politik Vorrang vor Kindergrundsicherung. (Diese wurde von der Ampelregierung gerade auf St. Nimmerleinstag verschoben). Damit wird obendrein auch der soziale Frieden gefährdet.
Weltweit sind die Rüstungsausgaben auf über 2 Billionen $ gestiegen.
Sie werden sich durch den jetzigen Rüstungswettlauf fast verdoppeln.
Das ist das höchste Rüstungsniveau in der Menschheitsgeschichte!
Es wird weitaus mehr Geld für die Rüstung als für den Klimaschutz zur Rettung der Erde ausgegeben. Und nur ein Bruchteil für die Welthungerhilfe mit nur 300 Mio. $ (einschl. Spenden).
Gerechtigkeit und Frieden sind jedoch zwei Seiten derselben Medaille.
Diese Waffenarsenale bringen keinen Frieden, sie fördern den Krieg.
Denn sie wurden in den letzten 60 Jahren in über 250 Kriegen weltweit eingesetzt. Und die Rüstungsindustrie erfindet immer neue Feindbilder.
Die zunehmende Militarisierung des Denkens und Handelns in Europa − mit nie dagewesenen Aufrüstungsprogrammen für sechsstellige Milliardensummen − bereitet berechtigte Sorgen, Ängste und Unbehagen.
Doch gegenwärtig wird nicht der sich zuspitzende Krieg, sondern der Pazifismus als Gefahr bezeichnet.
Pazifisten in der Friedensbewegung werden als naiv, schädlich und unmoralisch verurteilt (oder als „Putinversteher“ verunglimpft).
Oder als ängstlich, weil sie vor einem Atomkrieg oder einem Weltkrieg warnen. Friedens-Demos wie die heutige werden denunziert, damit soll von der Teilnahme abgeschreckt werden.
Der bekannte Friedensaktivist Franz Alt sagte: Als Pazifisten müssen wir die Situation viel differenzierter sehen als bisher.
Heute ist in der Tat höchste Zeit für Zwischentöne statt für schwarz oder weiß. Aber die Bellezisten übertönen alle Farben:
Denn Deutschland will in Europa bei Rüstungsprojekten eine Führungsrolle einnehmen. Wir sind das Land mit der stärksten Rüstungsindustrie und mit den höchsten Verteidigungsausgaben in Europa. Und wir gehören zu den größten Waffenexporteuren in Krisengebiete. Aus deutschen Waffen wird in vielen Krisengebieten der Welt auf Menschen geschossen. Aber die tödlichen Waffen und Panzer werden verniedlicht − sie hören auf den Namen „Leo“.
„Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“, so heißt es in dem Gedicht von Paul Celan.
Wo bleiben politische Initiativen für eine Beendigung des grausamen Krieges?
Wo sind politische Friedensinitiativen und Verhandlungen?
Wo bleiben die Abrüstungs-Bemühungen?
Stattdessen sehen wir jeden Abend in den Nachrichtensendungen die neuesten Panzer aus den Werbefilmen des größten Rüstungskonzerns Rheinmetall. Plötzlich sind wir alle kleine Waffenexperten.
Der Friedensaktivist und Theologe Eugen Drewermann sagte: „Ich halte diesen Krieg für ein Verbrechen“ und die Panzer hält er für „Mordwerkzeuge“.
Die Gewaltspirale müsse durchbrochen werden.
Längst fordern auch ehemalige hohe Generäle als Militärexperten endlich Verhandlungen − im Gegensatz zu manchen Politikern und Journalisten, die die Kriegstrommel rühren. Dies belegt: Hier läuft etwas komplett falsch!
Militärischen Laien wie Agnes Strack-Zimmermann oder Toni Hofreiter wollen den Ton angeben. Über Kriege und Kriegsplanung wird schwadroniert, als handele es sich um einen Spaziergang oder ein Computerspiel. (Doch auch moderne Hight-Tech-Waffen sind keine Spielzeuge, sondern Mordwerkzeuge).
Der deutsche Philosoph Jürgen Habermas sagte: „Aus den Waffenlieferungen des Westens erwächst eine Mitverantwortung für den weiteren Verlauf des Krieges.“ Eine weitere Eskalation und Verlängerung des Krieges bedeutet weiteres Massensterben auf beiden Seiten − und die totale Zerstörung eines ganzen Landes. Ganze Städte werden dem Erdboden gleichgemacht.
(Unsere Bundeswehr beklagt, dass inzwischen immer mehr junge Männer den Dienst an der Waffe verweigern. Ja was erwarten sie denn? Hurra-Patriotismus und Kriegsbegeisterung?)
Der Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow, der vor 9 Monaten gestorben ist im Alter von 91 Jahren, hatte bereits vor 6 Jahren einen Appell an die Welt gerichtet − mit dem Aufruf: „Kommt endlich zur Vernunft! Nie wieder Krieg! Ein neues Wettrüsten kann nicht die Antwort auf die eigentlichen Herausforderungen sein.“
Vor der „Zeitenwende“, die unser Kanzler ausgerufen hat, hieß unser bisheriger Leitspruch in der Friedensbewegung: „Frieden schaffen ohne Waffen“. Seit der Zeitenwende wird er von der Politik ins Gegenteil verkehrt: „Frieden schaffen mit immer mehr Waffen“. (Die Zeitenwende wurde vom falschen Mann, zur falschen Zeit, am falschen Ort mit falschem Inhalt ausgerufen.)
Denn statt 100 Mrd. € Sondervermögen für das Militärische brauchten wir 100 Mrd. € Sondervermögen für die Friedensforschung, für Bildung und Soziales und für das Klima! Das wäre eine wahre Zeitenwende!
Nur der Lobbyverband der deutschen Rüstungsindustrie bejubelt die Zeitenwende: Von „neuen Rüstungsschmieden“ und notwendiger „Kriegswirtschaft“ ist sogar die Rede. Die Rüstunglobbyisten behaupten allen Ernstes: „Waffenlieferungen dienen der Vermeidung von Krieg und der Erfüllung der Menschenrechte. Ohne Rüstung gäbe kein Frieden und keine Nachhaltigkeit.“
Also: Frieden auf Erden durch Rüstung?
Und die ev. Kirche plappert nach: Waffenlieferungen seien ein Zeichen christlicher Nächstenliebe“. Wir müssen aufpassen, dass sich der Meinungsstrom nicht in einen Kriegsrausch hinein bewegt statt in ein Friedensstreben.
Man fühlt sich an den großen Bruder in George Orwells Roman „1984“ erinnert, wo den Menschen suggeriert wurde. „Krieg ist Frieden“.
Genau diese Gehirnwäsche passiert aber gerade. Und manche Spitzenpolitiker scheinen von allen guten Geistern verlassen zu sein.
Lassen Sie mich deshalb hier ganz zu Schluss nur noch einen besonders schlimmen Fall der politischen Gehirnwäsche vorbringen:
Da erklärte im Juni letzten Jahres der Vorsitzende der ehemaligen Friedenspartei SPD, Lars Klingbeil folgendes:
„Friedenspolitik bedeutet für mich, auch militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik zu sehen“. Frei nach Clausewitz: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“? Leider konnte ihm der verstorbene Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow nicht mehr die Leviten lesen. Er sagte 1990: „Politiker, die meinen, Probleme und Streitigkeiten könnten durch Anwendung militärischer Gewalt gelöst werden − und sei es auch nur als letztes Mittel − sollten von der Gesellschaft abgelehnt werden, sie sollten die politische Bühne räumen.“ Wir haben auch die Worte von Willy Brandt aus 1971 noch im Ohr: „Krieg ist nicht mehr die ultima ratio, sondern die ultima irratio.“ Die Irrationalität in der gegenwärtigen Debatte um den Ukraine-Krieg, sofern noch eine abweichende oder gar gegensätzliche Meinung geduldet wird, ist befremdend.
Liebe Friedensfreunde,
Lassen wir uns als Friedenbewegung nicht davon abhalten, unserer Linie auch in einem vor Waffen strotzenden Kriegsklima treu zu bleiben, für eine friedensfördernde Konfliktlösung einzutreten. Lasst uns Fenster des Friedens öffnen und Krieg und Hass besiegen! Wir müssen Sicherheit neu denken durch zivile Konfliktbewältigung.
Wir fordern eine sofortige Beendigung des Angriffskriegs Russlands − entsprechend der Resolution der UN-Vollversammlung. Denn es gibt keine Alternative zu Dialog und Kooperation. Stoppt das Töten in der Ukraine.
Wir treten ein für Waffenstillstand und Verhandlungen − und zwar sofort. Und für dauerhaftes Abrüsten.
Vielen Dank. Der Friede sei mit Euch!
(Jetzt geht es weiter mit dem Ostermarsch nach Wattenscheid)