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Rede von Dr. Hans-Udo Schneider, Industrie- und Sozialpfarrer im Kirchenkreis Gladbeck - Bottrop - Dorsten, aus Anlaß des Ostermarsches Rhein / Ruhr 2002 im Stadtpark Gelsenkirchen am 31.3.2002

 

Liebe Freundinnen und Freunde!

Ich grüße Sie herzlich als die Aktivisten des Ostermarsches Rhein/ Ruhr 2002.

Für Frieden und Gerechtigkeit einzutreten, ist heute notwendiger denn je!

Mit dem früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann sagen wir: "Der Friede ist der Ernstfall"! Ihn müssen wir bestehen. Sonst kommt es zum Krieg. Wie jetzt in Afghanistan, wie in Tschetschenien, wie in weiten Teilen Afrikas, wie im Nahen Osten.

Freimütig müssen wir bekennen, wie haben den Ernstfall nicht bestanden! Weder Deutschland, weder Europa und schon gar nicht die einzige Weltmacht USA. Klamm heimlich wurde die Strategie der Bundeswehr verändert. In Afghanistan sind Deutsche Soldaten an Kampfhandlungen beteiligt.

"Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus" - diese Überzeugung unserer Väter und Mütter nach dem 2. Weltkrieg scheint vergessen zu sein.

Wir haben zugelassen, dass demokratische Rechte und Freiheiten mißachtet und mit Füßen getreten werden.

Wir haben zugelassen, dass soziale Gerechtigkeit immer mehr zerstört wird.

Seit über 2. Jahrzehnten Massenarbeitslosigkeit - und mehr denn je laufen die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft dem Mythos "Wachstum" hinterher. Statt Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, werden in Deutschland immer mehr die Arbeitslosen bekämpft. Die Kommunen nagen am Hungertuch und verabschieden sich von allen freiwilligen Leistungen. Ganze Stadtteile in der Emscher - Lippe Region saufen ab und werden zu sozialen Brennpunkten. Die Umverteilung von unten nach oben geht unvermindert weiter. Während fast die gesamte Steuerlast auf den Schultern der arbeitenden Bevölkerung liegt, haben sich die großen Kapitalunternehmen von jeder Steuer freigestellt.

Der "Terror der Ökonomie" hat mittlerweile das ganze Leben im Griff: nicht nur die Politik, nicht nur die Arbeitswelt, nein auch Kultur, Bildung, Wissenschaft, Gesundheit. Machen wir uns nichts vor, unser aller Denken ist davon infiziert. Geld und Profit sind zum einzigen Maßstab geworden.

Und die selben Kräfte, die das zu verantworten haben, beklagen in Sonntagsreden den Werteverfall.

Von daher gewinnt der Ostermarsch seinen Sinn. Von daher ist es notwendig, dass wir hier Flagge zeigen. Sektierertum und Besserwisserei sind deshalb völlig fehl am Platze. Vielmehr geht es darum, Kräfte zu bündeln, Bewußtsein zu schärfen, und Widerstand zu leisten.

Aufzeigen, worin die eigentlichen Ursachen von Krieg und Terror liegen. Der feige Terroranschlag vom 11. Sept. des vergangenen Jahres steht dafür exemplarisch.

Für dieses Verbrechen gibt es keine Entschuldigung, es ist ein barbarischer, krimineller Akt!

Aber gibt das Amerika, gibt das dem Westen das Recht, Krieg zu führen? Krieg gegen eines der ärmsten Länder dieser Erde?! Krieg im Namen von Freiheit und Frieden, von Demokratie und Gerechtigkeit? Gegen afghanische Dörfer und Städte; Frauen und Kinder zu töten, die mit den Terroranschlägen so wenig zu tun haben, wie sie und ich?

Hier sagen wir Nein! Hier erwarten wir ein Nein der Politik, der Parteien, der Gewerkschaften, der Kirchen aller gesellschaftliche Kräfte - ohne wenn und aber!.

Wir wissen doch, die USA haben in Wirklichkeit nie ernsthaft versucht, einen friedlichen Weg zum Sturz der Taliban zu finden.

Wir wissen doch: Al - Qaida und Taliban sind von amerikanischen und pakistanischen Geheimdiensten aufgebaut, nach Afghanistan eingeschleust und dort an die Macht gebracht worden.

Wir wissen doch, die USA erhofften sich von dieser "mörderischen Besatzungsmacht" stabile, politische Verhältnisse, um ungestört quer durch das Land eine Erdgasleitung bis zum Indischen Ozean bauen zu können.

Menschenrechte, Frauenrechte, Bildung, Kultur, Traditionen des afghanischen Volkes haben doch bei diesen strategischen Überlegungen überhaupt keine Rolle gespielt. Das afghanische Volk ist nie gefragt worden, ob es die Taliban haben wollte. Und nun müssen sie zum zweiten Mal herhalten, werden sie erneut bestraft, für Taten, die sie nicht begangen haben.

Von daher noch einmal: Dieser Krieg in Afghanistan ist nicht zu rechtfertigen, er war und ist ein Verbrechen!

Jedes afghanische Kind, jede afghanische Frau zählt genauso viel wie ein amerikanischer, ein britischer, ein französischer , ein deutscher Soldat.

Wenn das nicht mehr gilt, wenn das nicht mehr übereinstimmende Überzeugung der Menschen ist, dann sollten wir das Wort Menschenwürde nicht mehr in den Mund nehmen.

Liebe Freundinnen und Freunde, daran wird klar : Terror läßt sich nicht mit Krieg und noch größerem Terror bekämpfen. Man geht nicht mit Flugzeugträgern, mit Jagdbombern, Panzern und Minen auf die Jagd gegen Terroristen.

Aber was ist zu tun? Ich sehe vor allem 4 Aufgaben:

1.Wir müssen den Islam als eine gleichwertige Kultur und Religion anerkennen. Die westliche Arroganz und Überheblichkeit ist buchstäblich tödlich.

2. Der Nahostkonflikt / mittlerweile ist es ja ein Krieg, kann nur dadurch gelöst werden, dass die Palästinenser endlich einen lebensfähigen Staat erhalten. Ebenso und gleichzeitig muß das Existenzrecht Israels durch die arabische Welt akzeptiert werden. Sonst gibt es keinen Frieden.

3. Täglich verhungern auf der Welt 20.000 Kinder. Das ist ein täglicher Anschlag gegen unsere Zivilisation. Allein den USA kostet der Krieg in Afghanistan 50 Mrd Dollar.

Wann begreifen wir endlich, dass Hunger, Ungerechtigkeit und Hoffnungslosigkeit die entscheidenden Ursachen für Gewalt und Terror sind.

Das zu begreifen, heißt dem westlichen Kolonialismus und Imperialismus zu entsagen, aufzuhören, Afrika, Asien, Lateinamerika ausschließlich als Rohstoffquellen und Müllkippen anzusehen.

Wer dies anpacken und verändern will, der braucht 4. Demokratisch legitimierte und kontrollierte Regierungen und er braucht starke und unabhängige internationale Gremien.

Das einzufordern und immer wieder deutlich zu machen ist die Aufgabe der Friedens- und Ostermarschbewegung.

Da ist es gut, wenn wir uns hier erinnern lassen an das Vermächtnis der Erbauer des Ehrenmals (hier im Stadtpark von Gelsenkirchen) für die Opfer des Faschismus :

"Zerstampft des Unrechts Drachensaat

Zerstört den Hass von Staat zu Staat

Versenkt die Waffen in Gewässern

Dann wird im Friedenssonnenschein

die ganze Welt uns Heimat sein."

Ich denke wir alle und die Verantwortlichen in dieser Stadt tun gut daran, wenn wir uns für den originalgetreuen Erhalt des Ehrenmals einsetzen und das Vermächtnis der Erbauer dadurch wach halten.

In diesem Verständnis wünsche ich uns allen : Mut Kraft und Erfolg.

Herzlichen Dank.