Aufstehen für das Leben
Widerstand hört nicht auf, wenn der Krieg "zu Ende" ist!
Rede von Dr. Rolf Heinrich auf dem Ostermarsch in Gelsenkirchen am 20. April 2003
Wird die Welt durch Friedensdemonstrationen und Ostermärsche friedlicher?
Was nützen Kerzen und Tauben, Luftballons und Friedensbäume, Lieder und Gebete, was nützen Menschenketten und Friedenslieder gegen Bomben und Raketen, gegen die Gier nach Macht und Geld? Hat der Redakteur der Gelsenkirchener Tageszeitung recht, der nach einer Friedensdemonstration schrieb: "Vergeblich. Schön. Trost spendend und Gemeinschaft fördernd. Und – wenn man ehrlich ist vergeblich. Millionen Kriegsgegner weltweit, die Geschichte und am Ende selbst die UNO konnten Bush nicht von seinem Feldzug abhalten. Vergeblich."
Ich hoffe und glaube, dass nichts, was auf dieser Welt im Namen des Friedens und des Lebens geschieht vergeblich ist. Ich hoffe und glaube, dass es eine Macht gibt, die alles im Gedächtnis behält, den Protest, das Aufstehen für das Leben und die Leiden der Opfer, auch wenn die, die sich mächtig halten, sich von Millionen Kriegsgegnern nicht beeindrucken lassen. Stellen Sie sich vor, wir hätten in den Zeitungen und im Fernsehen nur Bilder vom Krieg gesehen und nicht zugleich Bilder von Friedensdemonstrationen. Es wäre hoffnungslos. Unsere Kinder und wir selbst könnten an Gegenbeispielen nicht mehr lernen. Es ist für das Überleben der Menschen wichtig, dass es Gegenbilder und Gegenbeispiele gegen Krieg und Hass, gegen die Gier nach Macht und Reichtum gibt und Menschen in dieser Tradition groß werden und leben. So lernen und erfahren unsere Kinder und Enkel, dass es Menschen gibt, die für den Frieden auf die Straße gehen. Sie erleben eine Alternative. Das beeindruckt und prägt, selbst wenn es den Lauf der Welt noch nicht ändert.
Christen feiern heute Ostern. Sie feiern ihre Hoffnung, dass das Leben stärker sein möge als Leiden und Unrecht, stärker als Tränen und stärker als der Tod und die Mächte des Todes. Sie feiern, dass das Leben weitergeht, dass das Leben siegt, denn sie sind Liebhaber des Lebens.
Ostern – heißt Auferstehen - Aufstehen für das Leben.
Aufstehen für den Frieden ist auch nach dem vermeintlichen Ende des Krieges im Irak lebensnotwendig, damit sich nicht die Stimmung ausbreitet, dass der, der den Krieg gewinnt, keine Rechtfertigung mehr braucht und sich nicht mehr verantworten muss. Die vermeintlichen Gründe des Krieges sind als konstruiert entlarvt: Es wurden keine Massenvernichtungswaffen gefunden. Es gab keine Giftgasangriffe. Der Diktator wurde bis heute nicht gefunden. Statt Befreiung gab es Zerstörung, das befreite Land liegt in Trümmern. Statt eines sauberen Krieges, der wie ein chirurgischer Eingriff wirken sollte, gab es blutige Opfer.
Aufstehen für den Frieden bedeutet, jedem Krieg die Rechtfertigung zu entziehen, auch einem Krieg, der von der UN legitimiert wird.
Das moderne Völkerrecht hat die Lehre vom gerechten Krieg überwunden, nicht aber den Krieg. Selbst die mögliche Autorisierung eines Krieges durch die UN macht diesen Krieg nicht gerecht.
Gerecht kann nur der Friede sein und ein generelles Gewaltverbot, das die Grundnorm allen Rechts ist (Art. 2 UN- Charta) sein. Frieden kann nicht aus Gewehrläufen und Bombern wachsen. Soziale und politische Probleme können nicht mit Gewalt gelöst werden. Menschrechte kann man nicht mit Gewalt durchsetzen. Solange es in der Geschichte der Menschheit Kriege gibt, sind sie eine Krankheit und keine Therapie. Oft waren faschistische Terrorregime Produkt eines vorausgegangenen Krieges.
Aufstehen für den Frieden heißt, den Weltmarkt als ständigen Kriegsschauplatz entlarven.
"Das Geld schickt die Menschen (weltweit) zum Töten und Getötet werden auf die Jagd." (Karl Barth) Am Krieg verdienen die Waffen-, die Pharma- und die Ölindustrie. John Rockefeller, der Öl-Milliardär hat das Öl die "Tränen des Teufels" genannt. Es zerstört die Umwelt und treibt Völker in den Krieg. Zehn Milliarden Menschen leiden ständig unter Hunger. Zehntausende sterben täglich. Millionen und Abermillionen sind ohne Arbeit. Für Gesundheit und Bildung, für Arbeit und den Erhalt der Natur ist kein Geld da, aber für Krieg und Mordwerkzeug. Ein Nein zum Krieg wird nur dann mit Leben gefüllt, wenn die Produktion und der Verdienst durch den weltweiten Waffenhandel beendet werden. Dazu gehören nicht nur Massenvernichtungswaffen, sondern auch Kleinwaffen aus Deutschland. Ein Nein zum Krieg wird nur dann mit Leben gefüllt, wenn den meisten Menschen nicht mehr das vorenthalten wird, was sie zu einem menschenwürdigen Leben brauchen. Nur Gerechtigkeit schafft Frieden, Verhältnisse fortwährender schwerer Ungerechtigkeit sind in sich Gewalt geladen.
Aufstehen für den Frieden bedeutet, gegen die Militarisierung der Irak-Hilfe durch die USA Stellung beziehen.
Die USA will die totale Kontrolle im Irak nach dem Krieg, auch die Kontrolle über die Hilfsorganisationen. Humanitäre Hilfe wird so für politische Zwecke missbraucht. Menschen aber haben mitten in Konflikten und Gewaltsituationen ein Recht auf Hilfe ausschließlich nach ihrer Bedürftigkeit – ohne Ansehen ihrer politischen Anschauung oder ihres ethnischen Status. Hilfsorganisationen müssen unabhängig arbeiten können, aber sie sind nicht neutral. Wer Menschen helfen will, kann nicht neutral sein, sondern er muss auf der Seite der Opfer stehen.
Aufstehen für den Frieden heißt, die vergessenen Kriege der Erde wieder ins Blickfeld zu rücken.
Der Rauchvorhang des Krieges im Irak und an anderen Kriegsschauplätzen, die das Interesse der Weltöffentlichkeit finden, verbergen andere Kriege, die oft schon Jahre lang toben (FR 13.3.03 ff. "Der andere Krieg"). Die Welt blickt auf den Irak und in Tschetschenien morden russische Todesschwadronen weiter. Im Sudan tobt nach wie vor der längste Krieg Afrikas. In Kolumbien wird ein endloser Bürgerkrieg, finanziert durch Drogengeschäfte, geführt. Seit 14 Jahren gibt es den Kaschmir-Konflikt. Im Westen der Insel Papua kämpfen seit vielen Jahren viele Menschen um ihre Unabhängigkeit von Indonesien und so weiter und so weiter. Im Schatten des Irak-Krieges nahm die Gewalt in diesen Kriegsgebieten zu. Auch die israelische Regierung nutzte den Irak-Krieg, um weitere Verbrechen gegen das palästinensische Volk zu begehen, bis hin zu einer umfassenden ethnischen Vertreibung, worauf israelische Wissenschaftler hinwiesen (Ohne Rüstung leben, Info 105, 2/2003). Es ist wichtig, diese vergessenen Kriegsschauplätze und ihre menschlichen Tragödien ins Gedächtnis der Öffentlichkeit zurückzurufen.
Aufstehen für den Frieden bedeutet, Flüchtlinge schützen und Fluchtursachen bekämpfen!
Krieg führt zu Flucht und Vertreibung. Eine Politik, die ihre Interessen mit Präventivkriegen durchsetzten will, dies im Irak begonnen hat und in anderen Staaten fortsetzen will, schafft neue Flüchtlinge. Alle Menschen, die von Kriegen bedroht sind, haben nach der UN-Flüchtlingskonvention ein Recht auf Flucht. Parallel zu den Präventivkriegen soll aber der Flüchtlingsschutz in Europa noch weiter demontiert werden. Flüchtlinge, denen es gelingt, europäischen Boden zu erreichen, sollen hier kurzfristig interniert und so schnell wie möglich in heimatnahe Schutzzonen zurückgeschafft werden. Auch das deutsche Engagement gegen den Krieg endete spätestens an der eigenen Grenze. Trotz des Krieges im Irak wurden irakische Flüchtlinge in den letzten Monaten deutlich schlechter behandelt als in den Jahren zuvor. Noch nicht einmal Opfer schwerster Menschenrechtsverletzungen fanden und finden hierzulande Asyl. Durch die abschreckende Flüchtlingspolitik sollten möglichst viele Flüchtlinge davon abgehalten werden, einen Fluchtweg nach Deutschland zu suchen. Deutsche Friedenspolitik ist nur glaubwürdig, wenn sie eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik einschließt und mit sozialen und wirtschaftlichen Mitteln die Fluchtursachen beseitigt.
Aufstehen für den Frieden bedeutet, Widerstand wird zur Pflicht, wenn Unrecht zu Recht erklärt wird.
Keine der kirchlichen Erklärungen gegen den Krieg ruft bisher zum Widerstand auf, als Handlungsform wird alleine das Gebet genannt. Aber erst wenn dem Gebet Handlungen entsprechen, wird es glaubwürdig. Zu möglichen Handlungsoptionen könnte gehören: Die Militärseelsorge wird eingestellt bei einer Armee, die zur Angriffsarmee umgerüstet wird. Nur der Friedensdienst ohne Waffen kann Zeichen christlichen Glaubens sein. Zur Zeit sind es Aktivisten der auch christlichen Basis, die in Kriegsgebieten, die Idee eines "menschlichen Schutzschildes" andenken und umzusetzen suchen. Was für eine politische Wirkung hätte es, wenn Bischöfe und Kirchenleitungen diese Handlungsmöglichkeit aufnähmen. Welche Macht könnte einen Krieg führen, wenn mitten im Zielgebiet Kirchenführer aus aller Welt Friedenskonferenzen abhalten würden?
`"Nonnen folgen Bushs Aufruf zur Abrüstung", so lautete am 5. April die Überschrift über einer Meldung der Süddeutschen Zeitung. Berichtet wurde von zwei Nonnen, die auf ein Militärgelände in Georgetown in Colorado eingedrungen waren und mit Hämmern auf den 20 Tonnen schweren Betondeckel eines Atomraketensilos eingeschlagen hatten, Vor Gericht berufen sie sich jetzt darauf, dass sie dem Aufruf von Präsident Bush gefolgt sind, Massenvernichtungswaffen zu zerstören. "ich hatte die Pflicht und Verantwortung, sowohl nach den Gesetzen Gottes als auch nach den amerikanischen und internationalen Gesetzen, ein verbrechen zu verhindern", begründet Carol Gilbert ihr Vorgehen. Die Anklage gegen die beiden Ordensfrauen lautet auf Sabotage und Gefährdung der nationalen Sicherheit und kann mit bis zu 20 Jahren Gefängnis geahndet werden. Gäbe es mehr solcher Christinnen und Christen, sähe die Welt (vielleicht) anders aus.´ (Junge Kirche, 2/03, S. 1)
Ostern heißt Aufstehen für das Leben
Ostern kann auch vor Ostern gefeiert werden: Ostern wurde in diesem Jahr schon gefeiert, als 14 Millionen Menschen von der Ostküste Australiens über Japan, Korea, Europa bis zur Westküste Nordamerikas in einer Globalisierung anderer Art für den Frieden aufstanden und gegen den Krieg demonstrierten.
Noch nie zuvor hat in Deutschland ein auch nur annähernd so großes Friedensengagement stattgefunden wie am 15. Februar. Besonders ermutigend ist es, dass Schülerinnen und Schüler die Hauptträger der Demonstrationen und Friedensgebet sind. Ermutigend ist es, dass Christen und Muslime gemeinsam mit Menschen, die nicht an einen Gott glauben und für den Frieden eintreten, zusammen interreligiös gebetet und interkulturell demonstriert haben. Sie haben ein Zeichen gesetzt, das den alten Konflikt christliches Abendland und islamisches Morgenland überwindet!
Das, was ich gesagt habe, ist sicherlich schon tausendmal gesagt und geschrieben worden und doch gilt: "Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde, Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind."
(Bertold Brecht, Grußwort zum Kongress der Völker für den Frieden)Lasst uns Aufstehen für das Leben, lasst uns aufstehen für den Frieden.