Kathrin Vogler, Bund für Soziale Verteidigung,
Rede auf der Auftaktkundgebung
des Ostermarsch Rhein-Ruhr in Duisburg am 19.4.2003
Liebe
Freundinnen und Freunde,
die
Bomben fallen nicht mehr auf Bagdad. Zeit für eine erste Kriegsbilanz. Die US-
geführten Truppen haben den Krieg gegen das irakische Militär gewonnen. Dafür
haben sie täglich bis zu 3000 Bomben auf die irakischen Städte abgeworfen.
Dafür haben sie Splitterbomben eingesetzt, die Hunderte von Zivilisten
verletzten, darunter viele Kinder. Dafür haben sie Kriegsgefangene gedemütigt
und gequält. Dafür haben sie Journalisten in ihrer Arbeit behindert, sie
verschleppt, misshandelt, und erschossen. Sie haben Zivilisten aus Angst vor
Guerillakämpfern getötet. Auch haben sie wieder panzerbrechende Waffen aus
abgereichertem Uran eingesetzt, das schon nach dem zweiten Golfkrieg schwere
Missbildungen und Erkrankungen bei Kindern verursachte. Und zuletzt haben sie
die Vernichtung und den Raub der irakischen Kulturschätze zugelassen, haben
zugesehen, wie bewaffnete Räuberbanden Krankenhäuser plünderten und die Kranken
verjagten. Für den Sieg gegen Saddam haben sie das internationale Recht und die
Rechte der irakischen Menschen mit Füßen getreten. Man muss nicht einmal
besonders genau hinzuschauen um die Summe dieser Zwischenbilanz zu erkennen:
Krieg ist keine Lösung.
Krieg ist
Terror.
Viele
Menschen wurden getötet oder verletzt, vieles wurde zerstört – nur keine
einzige Massenvernichtungswaffe. Die einzigen Betriebe, welche die US-Soldaten
gegen die plündernden Räuberbanden verteidigen, sind die Ölquellen. Das einzige
Ministerium, das sofort gesichert wurde, war das Ölministerium. Und schon die
ersten Anzeichen einer Nachkriegspolitik der USA im Irak lassen Schlimmes
vermuten. Noch bevor sich irgendwelche politischen Strukturen gebildet hätten,
fordert die US-Regierung eine Aufhebung der Rüstungskontrollen und des
kompletten Handelsembargos. Das lässt nur eine logische Schlussfolgerung
zu: Die US- Rüstungskonzerne wollen sich den irakischen Markt so schnell wie möglich
für Exporte sichern – und die US-Regierung wird dafür sorgen, dass über diese
Waffen nur im Interesse der USA verfügt werden kann. Sollte ein mögliches neues
Regime von dieser Maßgabe abweichen, so droht dann wieder der nächste so
genannte „Abrüstungskrieg“: Zunächst möglichst vollständige Abrüstung durch
Kriegszerstörungen, dann umgehend ebenso vollständige Wiederaufrüstung unter
einem neuen, willfährigen Regime zum Profit der Rüstungsindustrie. Und all das
ohne Rücksicht auf die Bevölkerung, auf die Kultur, auf die Nachbarländer und
auf das Völkerrecht.
Dieser
Krieg muss nun politisch und juristisch aufgearbeitet werden. Wir fordern, dass
sich die Vollversammlung der Vereinten Nationen mit dem Irakkrieg befasst und
alle Verstöße gegen das Völkerrecht feststellt. Den
UN-Waffeninspektoren muss umgehend wieder ihre Arbeit ermöglicht werden. Sie
werden zusätzlich die Aufgabe haben zu verhindern, dass die Besatzungstruppen
Beweise fingieren oder manipulieren.
Wir alle
haben in den letzten Monaten gegen diesen Krieg demonstriert, gebetet,
Mahnwachen und Veranstaltungen gemacht, Menschenketten aufgestellt und
Militäreinrichtungen blockiert. In diesem Protest waren wir verbunden mit
vielen Millionen Menschen in der ganzen Welt. Noch niemals zuvor hat eine politische
Bewegung so viele Menschen rund um den Erdball gleichzeitig auf die Beine
gebracht. Noch nie zuvor gab es eine so große Welle internationaler Solidarität
und gemeinsamen Widerstands gegen den Krieg einer Großmacht – nein, der Großmacht
unserer Zeit.
Das ist
eine Chance für einen grundlegenden politischen Wandel. Wenn wir nicht
nachlassen, können wir eine andere Welt möglich machen. Eine Welt, in der
Konflikte nicht mit Krieg und Gewalt ausgetragen werden. Eine Welt, die ihren
Reichtum nicht an die Rüstungsindustrie verschleudert, sondern zum Wohle der
Menschen einsetzt. Eine Welt, in der Bildung und Gesundheit keine Waren sind,
sondern grundlegende Menschenrechte.
Auch wenn
wir den Krieg gegen den Irak noch nicht verhindern konnten, haben wir Vieles
bewegt. So schrieb die New York Times nach dem 15. Februar, dem internationalen
Aktionstag gegen den Irakkrieg, die Weltöffentlichkeit sei nun zu einer zweiten
Supermacht geworden. Der ehemalige französische Außenminister Dominique
Strauss-Kahn sah an diesem Tag auf den Straßen Europas die Geburt einer neuen
Nation. Der Mann hat Recht – aber er hat etwas übersehen: Diese europäische
Nation ist die erste in der Menschheitsgeschichte, deren Geburt sich zivil,
gewaltfrei und von unten vollzieht. Das ist ein Hoffnungsschimmer. Deshalb
richtet sich unser Protest nicht allein gegen die aggressive
Weltmachtsstrategie der US-Regierung, sondern auch gegen jeden Versuch, ein
europäisches Konkurrenzunternehmen in derselben Sparte zu eröffnen.
Wir
wollen keine Weltmacht Europa, die ihre Märkte militärisch erobert und
absichert! Unser Europa soll zivil, demokratisch und militärfrei sein!
Liebe
Freundinnen und Freunde!
Wir haben
gestern Ostereier gekocht. Sie auch? Während die Eier im Topf brodelten, wurden
in den USA 700.000 Dollar für die Rüstung ausgegeben, täglich fließt eine
Milliarde Dollar in das tödliche Geschäft, 365 Milliarden im Jahr. Das ist so
viel wie die 25 nächsten Staaten auf der Weltrangliste der Rüstungsausgaben
zusammen aufwenden und mehr als der gesamte Staatshaushalt der Bundesrepublik
Deutschland. Der technologische Vorsprung der USA im Rüstungssektor ist beinahe
unaufholbar, die Rüstungsforschung verschlingt dort mehr als die Hälfte der
Forschungsausgaben. Kein Wunder, dass die US-Wirtschaft ebenso stark vom
Rüstungsexport abhängig ist wie vom Erdölimport.
Nun gibt
es in Europa viele Politikerinnen und Politiker, die den vermeintlichen
Rückstand aufholen wollen. So arbeitet Bundesverteidigungsminister Struck an
neuen Verteidigungs-politischen Richtlinien für die Bundeswehr, die ihre
endgültige Umwandlung in eine Interventionsarmee festschreiben werden. Die
Landesverteidigung ist nun nicht mehr aktuelle Aufgabe der Bundeswehr. Auch
eine Grundgesetzänderung zog Minister Struck bereits in Erwägung, so dass der
Verteidigungsauftrag der Bundeswehr gestrichen würde. Warum nennt Herr Struck
nicht auch seine Bundeswehr-Richtlinien so, wie sie gemeint sind, nämlich
„angriffspolitische Richtlinien“?
Damit
setzt die Bundesregierung die aktuell gültige NATO-Strategie um, die nicht mehr
von einer Verteidigung des NATO-Territoriums als Hauptaufgabe ausgeht, sondern
von einer Verteidigung der wirtschaftlichen und politischen Interessen der
Bündnismitglieder weltweit. Wir lehnen diese NATO-Strategie und den Umbau der
Bundeswehr ab.
Wir
wollen nicht, dass Bundeswehrsoldaten in aller Welt in Interventionskriegen
kämpfen.
Wir
wollen, dass überall, wo es nötig ist, Diplomaten, Entwicklungshelfer und
Friedensfachkräfte helfen, Konflikte gerecht und ohne Gewalt zu lösen. Wer
behauptet, dass der Einsatz von Militär nur das allerletzte Mittel sei, der
muss dafür sorgen, dass die zivilen Mittel Vorrang erhalten, auch bei der
Ausstattung mit Personal und Finanzmitteln. Im Augenblick gibt die
Bundesregierung nur ein Promille der Rüstungsausgaben für Zivile
Konfliktbearbeitung aus. Das ist zu wenig, um diese wirksamen Mittel weiter zu
entwickeln und international zu etablieren. Die Landesregierung NRW kürzte die
Mittel für die Ausbildung von Friedensfachkräften in diesem Jahr um 40 Prozent.
Hier müsste die Bundesregierung in die Bresche springen!
Nun
dachten in der vergangenen Woche grüne Politikerinnen auch noch laut darüber
nach, ob man nicht die Ausgaben für die Bundeswehr erhöhen müsse. Nur
halbherzig ruderte der Bundeskanzler zurück – dies sei nicht die richtige Zeit,
um darüber öffentlich nachzudenken. Herr Bundeskanzler Schröder, lassen Sie
sich gesagt sein, es gibt keine richtige Zeit um über Aufrüstung nachzudenken,
nicht heute, nicht morgen und auch nicht nächstes Jahr!
Nicht der
militärische Wettbewerb mit den USA um Rohstoffe, Märkte und Einflusszonen
führt zu einer gerechteren Weltordnung, sondern der bewusste und selbstbewusste
Aufbau einer Alternative. Wenn Europa mit den Vereinigten Staaten militärisch
Schritt halten will, muss es sich ein für alle mal vom Sozialstaat
verabschieden. Der aktuelle Sozialabbau-Katalog der Regierung Schröder, so
brutal er auch ist, ist nur eine Kleinigkeit gegen das, was ein militärisch
erstarkendes Europa seinen Bürgerinnen und Bürgern zumuten wird. Deshalb rufe
ich die Gewerkschaften, Sozialverbände und Arbeitsloseninitiativen auf,
gemeinsam mit uns gegen die Militarisierung Europas aufzustehen.
Wer
soziale Gerechtigkeit will, muss ein ziviles Europa erkämpfen!
Das
zivile Europa, wie ich es mir vorstelle, ist wirtschaftlich stark, weil es
keine Ressourcen an die Rüstung verschwendet. Es investiert in
zukunftsträchtige Forschungen, in erneuerbare Energien, umweltfreundliche
Verkehrssysteme, in Bildung und Gesundheit. Es ist weltoffen und demokratisch,
es gewährt Menschen Schutz, die vor Krieg, Hunger oder politischer Verfolgung
fliehen. Verwaltung und Infrastruktur sind dezentral organisiert und bieten
weit reichende Mitwirkungs- und Kontrollmöglichkeiten für die Bevölkerung. Alle
Menschen haben das Recht auf ein existenzsicherndes
Einkommen. Rüstungsgüter werden weder produziert noch verkauft, allen
Entwicklungsländern, die auf Rüstung verzichten und soziale Standards ausbauen
werden die Schulden erlassen.
In den
Stundenplänen aller Schulen finden sich Kurse in aktiver Gewaltfreiheit,
Konfliktbearbeitung und internationaler Politik. Die Einsatzgruppen des
Europäischen Zivilen Friedensdienstes werden gerne angefordert, um bei
Konflikten frühzeitig zu vermitteln, Frieden aufzubauen und Versöhnung zu
stiften. Und die direkt gewählte europäische Präsidentin ist eine russische
Jüdin, die mit einem atheistischen Iren verheiratet ist.
Klingt
das zu utopisch? Es ist eine mögliche Zukunft. Dieses Europa kann Wirklichkeit
werden, wenn wir es durchsetzen. Nutzen wir den Schwung, den wir heute haben,
um aus einer Antikriegsbewegung eine Friedensbewegung werden zu lassen. Kehren
wir nicht zurück in unsere gesellschaftliche Nische, sondern bleiben wir Motor
der Veränderung, mitten drin in den Auseinandersetzungen unserer Zeit.
Ostermarschierer wissen, dass der Frieden nicht über Nacht kommt. Seit über 40
Jahre brauchen sie zähe Füße und einen langen Atem. Wir wissen, dass auch der
lange Weg Frieden aus vielen kleinen Schritten besteht. Gehen wir ihn, soweit
unsere Füße tragen.
Ich
wünsche uns allen einen bewegten und bewegenden Ostermarsch Rhein-Ruhr 2003.
Brechen wir auf zu einem Europa des Friedens und der Gerechtigkeit!