Keine deutschen oder EU-Truppen in den Kongo -
Zivile Lösungen sind gefragt
Pressemitteilung
des Bundesausschusses Friedensratschlag
- Nach
heillosem Hin und Her: EU-Truppe zusammengestellt
- Einsatzziel
1 "Wahlabsicherung": nicht machbar
- Einsatzziel
2 "Evakuierung": EU-Truppe überflüssig
- Den
Sozialstaat nicht am Kongo, sondern hier verteidigen
- Wahrer
Grund 1: Battle group
im Praxistest
- Wahrer
Grund 2: Milliardenauftrag für Siemens sichern?
Kassel-Hamburg, 21. März 2006 - Angesichts des sich abzeichnenden
Einsatzes einer EU-Kampftruppe unter deutscher Beteiligung in der DR Kongo
erklären die Sprecher des Bundesausschuss Friedensratschlag Dr. Peter Strutynski (Kassel) und Lühr
Henken (Hamburg):
Die Bundesregierung plant derzeit erstmalig in einem eigenständigen
militärischen Kampfeinsatz der Europäischen Union (ohne NATO-Beteiligung) die
Führung zu übernehmen. Ab Mitte Juni soll ein im Wesentlichen aus deutschen und
französischen Infanterietruppen bestehender Verband in der kongolesischen
Hauptstadt Kinshasa einen reibungslosen Ablauf der ersten Präsidenten- und
Parlamentswahl des Landes nach 45 Jahren gewährleisten. Die Anforderung basiert
auf einer Anfrage des für die UN-Blauhelme zuständigen französischen
UN-Untergeneralsekretärs Guéhenno von Ende Dezember:
Die EU-Truppe solle vor allem „Störer abschrecken“. Nach grundsätzlicher
Zustimmung insbesondere von Frankreich, Deutschland und Großbritannien setzte
zunächst ein heilloses Durcheinander um die Modalitäten des Einsatzes ein. Die
bisher bekannten Parameter des EU-Militäreinsatzes lassen mittlerweile
allerdings folgende Schlussfolgerungen zu:
- das vorgegebene Einsatzziel,
nach dem ersten Wahlgang die staatlichen Institutionen, insbesondere die
Wahlkommission vor dem Druck der Wahlverlierer zu schützen, lässt sich mit
einer 250 Mann starken französischen Infanterietruppe nicht gewährleisten.
Sie kann ein Aufeinandertreffen der Privatarmeen der vormaligen
Bürgerkriegsgegner und jetzigen Präsidenten J. Kabila
(10.000-15.000 Mann Eliteeinheiten) und eines der Vizepräsidenten J.-P. Bemba (5.000 bis 6.000 Mann) nicht verhindern. Andere
kongolesische bewaffnete Kräfte sind im Einsatzgebiet Kinshasa nicht zu
erwarten. Falls es tatsächlich zu umfassenden bewaffneten
Auseinandersetzungen nach dem ersten Wahlgang kommen sollte, müssten
schwer bewaffnete EU-Bodentruppen in größerer Zahl nachgeführt werden und
Luftangriffe erfolgen. Da eine Vorplanung dieser Szenarien derzeit nicht
in Sicht ist, bleibt dann nur der Abzug. Wir ziehen daraus den Schluss,
dass es sich um einen symbolischen Einsatz handelt.
- Ein zweites Einsatzziel ist,
wie es offiziell heißt, die Evakuierung von etwa 200 europäischen
Wahlbeobachtern, wofür insbesondere ein deutsches Fallschirmjägerbataillon
zuständig sein soll, das in Gabun stationiert ist. Wir wissen, dass solche
Maßnahmen effektiver auch von den in den meisten Landesteilen bereits
präsenten 20 Infanteriebataillonen der UN-Truppe Monuc
übernommen werden können, die mit ihren Helikoptern ohnehin für die
Logistik der Wahlen zuständig sind. Wir stellen fest: Auch dieses
militärische Vorhaben mit deutscher Beteiligung ist überflüssig.
Weitere Einsatzoptionen sind offiziell nicht geplant. Somit
erweist sich der Einsatz der EU-Kampftruppe insgesamt als überflüssig.
Bundesverteidigungsminister Jung hat vor wenigen Tagen eine weitere
„Begründung“ für den Kongoeinsatz nachgeschoben: Es ginge darum, künftige
Flüchtlingsströme aus dem zentralafrikanischen Land nach Europa und Deutschland
zu verhindern. Wer so argumentiert, bedient nicht nur fremdenfeindliche
Ressentiments und rassistische Vorurteile, die nicht nur am rechten Rand der
Gesellschaft vorhanden sind. Er lügt auch – ob wissentlich oder unwissentlich,
können wir nicht beurteilen. Er lügt, weil die Migration aus dem Kongo nach
Europa, insbesondere nach Deutschland selbst in den bittersten Jahren des
kongolesischen Bürgerkrieges gegen Null tendierte.
Wir fordern deshalb die Abgeordneten des Bundestages auf, dem Antrag der
Bundesregierung auf Beteiligung an diesem EU-Kampfeinsatz nicht zuzustimmen.
Über die Kosten redet wohlweislich niemand. Dabei hätten die EU und Deutschland
viele Gründe, den Sozialstaat zu verteidigen – nicht am Hindukusch
und im Kongo, sondern hier bei uns. Die Frage drängt sich auf, weshalb trotz
knapper Staatsfinanzen Zig-Millionen Euro dafür verschleudert werden sollen.
Wir beantworten die Frage in zwei Richtungen:
- Die EU sucht ein möglichst
anspruchsvolles Einsatzgebiet zur Erprobung ihrer im Aufbau befindlichen Battle-Groups (13 solcher Elitekampfeinheiten hat die
EU beschlossen). Die deutschen Fallschirmjäger aus Lebach gehören dazu.
Die bisherigen Stabstrockenübungen sollen sich nun im
"multinationalen" Praxistest bewähren. Damit kommt die EU ihrem
erklärten Ziel, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch zu
einem globalen Akteur zu werden, einen weiteren Schritt näher. Die
Bevölkerungen der EU-Staaten sollen auf diese Weise an die Militarisierung
der EU gewöhnt werden.
- Dies geschieht nicht zum
Selbstzweck. Es geht auch um die Verfolgung wirtschaftlicher Interessen.
So ist in der DR Kongo die französische Consultingfirma
Sofreco im Juli letzten Jahres als
Übergangsverwalterin der kongolesischen staatlichen Minengesellschaft Gécamines eingesetzt worden, um diese weiter zu
privatisieren. Die DR Kongo ist reich an Diamanten, Kupfer, Kobalt und
Gold, aber auch an seltenen Metallen wie Germanium und Coltan
(Niob und Tantal). Zudem könnte Uran gefördert werden. Bis auf den
Diamantenabbau darbt der Rohstoffexport. International tätige Minengesellschaften
vor allem aus Südafrika, den USA und Kanada haben bereits Milliarden
investiert oder beabsichtigen es, um endlich die kostbaren Rohstoffe
preiswert ausbeuten zu können. Die Firma Siemens, größter deutscher
Investor in der DR Kongo, bemüht sich um einen Milliardenauftrag zum
Ausbau von Wasserkraftwerken am Kongo. Da will man das Feld nicht nur den
anderen überlassen.
Jahrzehnte des Bürgerkriegs und der äußeren militärischen
Einmischung haben das Land in das Chaos und die Bevölkerung in immer größeres
Elend gestürzt (man spricht von bis zu drei Millionen Todesopfern und Millionen
von Menschen auf der Flucht). Damit sollte doch hinreichend deutlich geworden
sein, dass mit Militär die Probleme des Landes nicht zu lösen sind. Es ist an
der Zeit, einen grundsätzlich anderen Weg einzuschlagen und endlich zivile
Konzepte der Konfliktbearbeitung anzuwenden.
Die Friedensbewegung warnt die Bundesregierung davor, sich im Kongo militärisch
zu engagieren und fordert stattdessen:
- mehr Anstrengungen und Mittel
für eine effektivere Entwicklungshilfe,
- eine Initiative zur
nachhaltigen Entschuldung des Landes,
- schärfere Kontrolle der
Waffenausfuhren (insbes. was die Kleinwaffen betrifft).