Von Mohssen Massarrat*
Der
Iran-Atomkonflikt wird in der öffentlichen Debatte überwiegend darauf
zurückgeführt, dass das iranische Atomprogramm nicht nur energiepolitische
Ziele, sondern auch militärische Ziele verfolgt und dass die „internationale
Gemeinschaft“ aus Sorge um die Nicht-Weiterverbreitung von Atomwaffen Iran zu
einer Änderung seiner Atompolitik bewegen will. In der Logik dieser
Konfliktbeschreibung liegen auch Schlussfolgerungen, die einen Gewalteinsatz
als Mittel zur Konfliktlösung legitimieren: „Sollte Teheran nicht zu mehr
Flexibilität bereit sein“, so Oliver Thränert von der
Stiftung Wissenschaft und Politik „dürfte es kaum eine andere Möglichkeit
geben, als zu versuchen, durch Beschlussfassung des UN-Sicherheitsrates Iran
auch mit nicht-kooperativen Mitteln von seinen allem Anschein nach bestehenden
Absichten, sich eine Atomwaffenoption zu verschaffen, abzubringen.“
Diese
die Anwendung von nicht-kooperativen Mitteln, letztlich einen neuen Krieg
befürwortende Position, die inzwischen leider in Europa und in Deutschland zur Mainstream-Position geworden ist, ist empirisch einseitig
und unterschlägt die vielschichtigen Motive und Interessenlagen auf beiden
Seiten des Konflikts. Der Iran verfolgt mit seinem Atomprogramm
energiepolitische, sicherheitspolitische sowie wirtschafts- und
technologiepolitische Ziele mit national-symbolischer Bedeutung. Der Westen
verfolgt dagegen einerseits das Ziel zu verhindern, dass der Iran eine
regionale Atommacht wird. Andererseits kristallisiert sich auch immer
deutlicher heraus, dass sich hinter dem Vorwand der Nichtweiterverbreitung von
Atomwaffen eine Strategie der flächendeckenden Weiterverbreitung von
Atomenergie und handfeste Interessen der internationalen, vor allem der
US-amerikanischen Nuklearindustrie verbirgt. Im
Folgenden sollen zunächst die Motive und Interessen beider Seiten näher erläutert
und dann Alternativen zum Gewalteinsatz und Krieg skizziert werden.
1. Energie- und nukleartechnologische Motive
Das
iranische Energieministerium prognostiziert bis 2025 den Bedarf einer
Kraftwerkskapazität von 100.000 Megawatt, die gegenwärtige Kapazität beträgt
ca. 40.000 MW. Dieser Bedarf wird mit steigender Bevölkerungszahl und
wachsendem Lebensstandard begründet. Zur Deckung des wachsenden Strombedarfs
seien – so die iranische Regierung - demzufolge 15 – 20 Atomkraftwerke mit
einer Gesamtkapazität von 20.000 MW erforderlich. Anderenfalls wäre der Iran
gezwungen, bald die gesamte Öl- und Gasproduktion für den einheimischen
Verbrauch einzusetzen (gegenwärtig beträgt dieser Anteil 40%), mit der Folge,
dass seine Deviseneinnahmen auf Null sinken würden. Diese doch beträchtliche
nukleare Kraftwerkskapazität setze – so Teheran – einen eigenständigen
iranischen Brennstoffkreislauf, d.h. die Herstellung von yellow
cake, die Erzeugung des gasförmigen Uranhexafluorid (UF6) und schließlich die Urananreicherung
auf 3% voraus. Nur so könne langfristig die eigene energiepolitische
Unabhängigkeit und Sicherheit garantiert werden.
Mit
einer ähnlichen Argumentation schuf 1975 das mit den USA verbündete
Schah-Regime - seinerzeit mit Zustimmung und Unterstützung von USA und Europa -
das iranische Atomprogramm, das schon damals den vollständigen
Brennstoffkreislauf einschloss. 1981 - also nach der islamischen Revolution,
die 1979 stattfand - beschloss die neue islamische Führung, das nukleare
Programm des alten Regimes weiterzuführen. Inzwischen sind ca. 4.000 hoch
dotierte Ingenieure und Wissenschaftler in der iranischen Nuklearindustrie
beschäftigt, die - ganz in Übereinstimmung mit der Propaganda der
europäisch-amerikanischen Nuklearindustrie - den Atomstrom als die einzige
Alternative zu erschöpfbaren fossilen Energiequellen erklären und dafür
plädieren, die Atomenergie zum zweiten Standbein der iranischen
Energieversorgung zu machen.
Die
Prognosen zum Strombedarf entsprechen den Wünschen iranischer Atomenergieexperten,
die genauso willkürlich und unbegründet sind wie die Strombedarfsprognosen der
deutschen Atomindustrie vor 30 Jahren. Erstens werden in dieser Prognose die
technologischen Möglichkeiten zur Steigerung der Energieeffizienz und Absenkung
des Bedarfs in großem Umfang nicht berücksichtigt. Zweitens wird die
Perspektive der Nutzung von regenerativen Energiequellen, deren Potentiale im
Iran beträchtlich sind, als Alternative zur Nuklearenergie und ein zweites
Standbein neben den fossilen Energiequellen systematisch ausgeblendet.
Die
USA und die EU haben bisher weder die iranischen Strombedarfsprognosen, und
damit die angepeilte nukleare Kraftwerkskapazität in Frage gestellt noch von
sich aus die Alternative regenerativer Energietechnologien für Irans Energieversorgung
ins Spiel gebracht. Ganz im Gegenteil erklärte sich die EU in ihrem Angebot vom
8. August 2005 bereit, Iran beim massiven Ausbau der Atomenergie zu
unterstützen, allerdings mit der nicht verhandelbaren Bedingung eines
dauerhaften iranischen Verzichts auf Urananreicherung. Diese Bedingung liefe
aus iranischer Sicht jedoch darauf hinaus, die für die Sicherheit der
Energieversorgung sensibelste Stufe der nuklearen Energieerzeugung ins Ausland
zu verlagern und sich in eine dauerhafte Abhängigkeit zu begeben. Alle
Fraktionen der iranischen Elite lehnen dieses Ansinnen mit einem durchaus
einsichtigen Argument rundweg ab: „Wir wollen“, so die überwiegende Ansicht der
Regierung und des Parlaments „die Abhängigkeit von eigenen fossilen
Energiequellen reduzieren, aber nicht um den Preis einer neuen
energiepolitischen Abhängigkeit, und dazu noch einer Abhängigkeit vom Ausland
bzw. von Staaten, die uns nicht freundlich gesinnt sind“. Tatsächlich wäre der
Iran dadurch jederzeit erpressbar und seine kostspieligen Atomanlagen wären im
Konfliktfall keinen Pfifferling mehr wert. Teheran wirft den USA und der EU
vor, unter dem Vorwand der Nicht-Weiterverbreitung von Atomwaffen die
Weiterverbreitung und den flächendeckenden Export von Atomkraftwerken absichern
und entgegen den Bestimmungen des Atomsperrvertrages (NPT) zwei Klassen von
Staaten mit unterschiedlichen Rechten schaffen zu wollen.
Präzedenzfall Iran
Die
Annahme ist durchaus nicht abwegig, dass im Süden eine von der internationalen
Nuklearindustrie, hauptsächlich der US-Nuklearindustrie, abhängige
Energieversorgung etabliert werden soll. Angesichts der weltweit steigenden
Energienachfrage, der sinkenden fossilen Energieressourcen und der
Notwendigkeit zur Reduktion von CO2 rechnet die internationale Nuklearindustrie
mit einer Renaissance der Atomkraftwerke, zumal vor allem die
US-Nuklearindustrie Prototypen von Mini-AKWs
entwickelte, die auch in ländlichen Gebieten dezentral installiert werden
könnten. Doch diese langfristig angelegte Strategie der Weiterverbreitung von
Atomenergie erfordert gleichzeitig eine überzeugende neue Strategie der
Nicht-Weiterverbreitung von Atomwaffen, zumal NPT sich dazu als lückenhaft
erwiesen hat. In diesem Kontext ist es naheliegend,
durch Iran notfalls auch mittels Gewalteinsatz den Präzedenzfall für zwei
Klassen von Staaten mit unterschiedlichen Rechten zu schaffen: Erstens die
Industriestaaten, allen voran die USA, mit allen rechtlichen Möglichkeiten der
AKW-Produktion und weltweiten Exports. Und zweitens die Länder des Südens,
denen die Rolle zugewiesen wird, die AKWs importieren zu dürfen, im übrigen
aber von fremder Brennstoffversorgung, und damit der Nuklearindustrie der
Industrieländer de facto langfristig abhängig zu werden.
Für
diese Annahme spricht, dass im 35-seitigen EU-Angebot an den Iran die
Handschrift der internationalen Nuklearindustrie nicht zu übersehen ist. Die
drei EU-Staaten Deutschland, Frankreich und England vermieden es in diesem
Angebot konsequent, dem Iran zur Deckung der Bedarfslücke anstelle von Atomtechnik
als zweites Standbein regenerative Energietechnologien anzubieten, obwohl ein
derartiges Angebot dem Unabhängigkeitsargument der iranischen Seite Rechnung
tragen und dem iranischen Atomprogramm auf glaubwürdige Weise die
energiepolitische Legitimation entziehen würde. Es ist jedenfalls
unbegreiflich, warum ausgerechnet der grüne Außenminister und die rot-grüne
Bundesregierung es versäumt haben, die regenerative Energiealternative
wenigstens ins Spiel zu bringen, zumal nur diese Alternative auch die sicherste
Garantie dafür darstellt, die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern.
Indem die drei EU-Staaten diese Alternative bisher an keiner Stelle auch nur
erwähnen und ausschließlich die Atomenergie in den Vordergrund stellen, setzen
sie sich dem Verdacht aus, den Iran-Konflikt für die Sanierung der
internationalen Nuklearindustrie instrumentalisieren zu wollen.
2. Das sicherheitspolitische Motiv
Der
Iran ist eine regionale Mittelmacht, sicherheitspolitisch aber der
militärischen Überlegenheit seiner strategischen Hauptgegner, nämlich der
Hegemonialmacht USA und dem Ministaat Israel gleichermaßen, hoffnungslos
ausgeliefert. Nicht nur die gegenwärtige islamische Regierung, sondern auch
eine demokratisch säkulare Regierung wird sich mit dem bestehenden
„Sicherheitsdilemma“ nicht abfinden. Irans Nachbarstaaten Pakistan und Russland
sind Atomstaaten, Israels Atomwaffen (200-300 Atomsprengköpfe und alle dazu
erforderlichen Trägersysteme) stellen für den Iran eine aktuelle Bedrohung dar.
Hinzu kommt die militärische Einkreisung Irans durch die USA von allen vier
Himmelsrichtungen. Die EU ignorierte in ihrem Angebot Ende August diese
Realität völlig. Ihr Angebot, auf eine Bedrohung Irans mit britischen und
französischen Atomwaffen zu verzichten, ist ein Hohn und eine Beleidigung für
die Intelligenz des iranischen Militärs und der Sicherheitsberater. Obgleich
die iranische Regierung wohlweislich jegliches Junktim zwischen ihrem
Atomprogramm und dem Sicherheitsdilemma vermeidet, ist nicht von der Hand zu weisen,
dass Irans Militär auf die Atomwaffenoption drängt. Der geplante
Schwerwasserreaktor in der Nähe der Stadt Arak, der
für die Produktion von waffenfähigem Plutonium geeignet ist, sowie das Programm
zum Ausbau von Trägerraketen lassen auf die Absicht schließen, sich die
technologischen und wissenschaftlichen Kapazitäten für die militärische Option
zu verschaffen.
Dabei
geht es dem Iran um die Herstellung der Balance of Power und eines
Gleichgewichts des Schreckens, getreu den international immer noch vorherrschenden
sicherheitspolitischen Doktrinen. Israel ist dagegen entschlossen, die atomare
Vormachtstellung im Mittleren und Nahen Osten unter keinen Umständen aus der
Hand zu geben und gegnerische Nuklearprojekte, wie 1981 in Irak, präventiv zu
zerstören. Schenkt man einer informativen Spiegel-Titelgeschichte Glauben,
stand Israel tatsächlich auch bereits zwei Mal kurz davor, Atombomben gegen
arabische Nachbarn einzusetzen: 1973 im Yom-Kippur-Krieg
und 1982 zu Beginn des Libanonkrieges. Die USA und offensichtlich auch die EU
wollen, dass Israel seine atomar gestützte militärische Vormachtstellung
behält. „Viele Menschen begreifen nicht hinreichend“, sagte Joschka Fischer als
deutscher Außenminister in einem Zeit-Interview „warum Israel eine Position der
militärischen Überlegenheit braucht.“ Wer aber von Israels militärischer Stärke
spricht, der meint natürlich auch dessen Atomwaffenarsenal und nimmt wissend
oder nicht wissend unweigerlich auch in Kauf, dass Israel gegebenenfalls davon
Gebraucht macht. Als moralische Rechtfertigung dafür wird auf das Existenzrecht
des jüdischen Staates und auf die Rhetorik führender Politiker der Region, wie
jüngst die inakzeptable Äußerung des iranischen Staatspräsidenten Ahmadinedschad „der Schandfleck wird ohne Zweifel aus dem
Schoß der islamischen Welt verschwinden“, hingewiesen.
Das
Monopol an Atomwaffen macht Israel einerseits militärisch unangreifbar, es
bedroht gleichzeitig aber alle anderen Staaten in der Region und zwingt diese
dazu, sich ebenfalls Atomwaffen zu beschaffen. Dadurch wird Israels Bevölkerung
zur Geisel einer permanenten Angst und Unsicherheit, dass es irgendeinem Staat
der Region doch noch gelingen könnte, den jüdischen Staat mit Atomwaffen oder
anderen Massenvernichtungswaffen zu bedrohen. Aus dieser Perspektive sind
Israels Atomwaffen die schlechteste aller Optionen, um sein Existenzrecht zu
garantieren. „Zu viel militärische Macht bringt nicht automatisch mehr
Sicherheit, sondern gefährdet sie eher“, lautet der Lehrsatz des neoklassischen
Realismus, der vor dem Hintergrund des atomaren Overkills im Ost-West-Konflikt
formuliert und als allgemein gültig anerkannt worden ist. Der Verdacht liegt
jedoch nahe, es geht den Vereinigten Staaten bei ihrer Mittelost-Politik nicht
in erster Linie um die Verteidigung der Existenz Israels, sondern darum, die
Existenzängste der israelischen Bevölkerung für eigene geopolitische Ziele in
einer der sensibelsten Regionen der Welt zu instrumentalisieren. Ein Zustand
der Unsicherheit, der Instabilität und der permanenten gegenseitigen Bedrohung
liefert tatsächlich einen permanenten Grund für Parteinahme, Einmischung und
schließlich auch militärische Interventionen, die den eigenen geopolitischen
Interessen dienlich sind.
3. Symbolisches Motiv: Atomprogramm als nationales Projekt
Das
energiepolitische Motiv Irans deckt sich weitgehend mit seinem
sicherheitspolitischen Motiv. Atomenergieexperten wähnen sich im Bündnis mit
den Technokraten und der militärischen Elite der islamischen Republik in einem
festen Bündnis. Doch es geht um mehr: Es geht um die Mobilisierung aller, auch
der regimekritischen Iraner für ein vermeintlich nationales und Identität
stiftendes Projekt. Inzwischen ist das Atomprogramm tatsächlich für alle
politischen Fraktionen im Iran, für Reformer wie für die Konservativen, auch
für die studentische Opposition, die für Demokratie und den säkularen Staat
eintritt, zu einem symbolischen nationalen Projekt geworden, an dessen
Fundamenten gegenwärtig niemand rütteln kann und will.
Selbst
Irans ehemaliger Staatspräsident und Reformer Khatami verteidigte das nukleare
Projekt, da es „unseren nationalen Interessen, unserer nationalen Ehre, unserer
Zukunft entspricht und unser Fortschritt davon abhängt.“ Noch deutlicher legt
sich der konservativ orientierte Teil der iranischen Elite um den neuen
iranischen Präsidenten auf das nukleare Projekt fest. „Der nukleare
Brennstoffkreislauf“, sagte der neue Chef von Irans Nationalem Sicherheitsrat, Larijani, „ist ein Recht und zugleich auch ein Bedürfnis,
... kein Volk kann am Zugang zu dieser Technologie gehindert werden. Dabei
dürfen wir nicht übersehen, Ahmadineschat siegte und
übernahm die Macht, weil er die Idee und das Ziel für Iran verfolgte, diese
Technologie zu beherrschen und den erreichten Stand zu verteidigen. Er fühlt
sich diesem Anliegen nachhaltig verpflichtet. Damit ist dieses Projekt eine
nationale Idee und ein nationales Ziel geworden. Es ist ein großer Fehler des
Westens, dass er diese allgemein verbreitete Auffassung der Iraner ignoriert.“
Die
Parallele zwischen Mossadeghs Projekt der
Nationalisierung der iranischen Ölindustrie vor 55 Jahren und dem nuklearen
Projekt liegt auf der Hand. Mossadeghs Projekt trug
tatsächlich erheblich zum Nationalbewusstsein und zum Souveränitäts- und
Freiheitsgefühl im modernen Iran bei. Die kollektive Erinnerung daran, dass es
die USA und Großbritannien waren, die vor über einem halben Jahrhundert Mossadeghs Projekt der Nationalisierung des Erdöls
gewaltsam zu Fall brachten, bestätigt viele Iraner in der Auffassung, dass es dem
Westen auch diesmal darum geht, Irans Souveränität aushebeln zu wollen, und
dass so wie damals die eigenständige Ölindustrie nun heute die Schaffung einer
eigenständigen Nuklearindustrie im Iran verhindert werden soll. Doch kann das
nukleare Projekt seine symbolische Funktion genauso schnell wieder verlieren
wie sie entstanden ist. Das nukleare Projekt verschlingt beträchtliche
Ressourcen des Landes und ist ökonomisch nicht tragfähig. Es schafft mehr
Abhängigkeit und Konflikte, ohne für Irans Energiebedarf einen nennenswerten
Beitrag zu leisten.
4. Wie wahrscheinlich ist ein neuer Krieg?
Die
islamische Regierung hat sich auf das Recht zur Urananreicherung und die
Beherrschung des gesamten Brennstoffkreislaufs festgelegt. Ein Abweichen von
diesem Ziel ohne objektive Sicherheitsgarantien zur Überwindung von Irans
Sicherheitsdilemma und ohne nachvollziehbare Antworten für die Möglichkeit
einer selbstständigen Energieversorgung scheint so gut wie ausgeschlossen zu
sein. Einseitige Forderungen ohne seriöse Gegenleistungen, wie das EU-Angebot
vom 8. August 2005 , sind zum Scheitern verurteilt.
Auch die USA bestehen entsprechend der oben dargestellten ökonomischen,
sicherheits- und geostrategischen Motive weiterhin auf ihrem Standpunkt, Iran
zu einem Verzicht auf Urananreicherung zu zwingen. Die EU-Diplomatie ist
gescheitert und befindet sich inzwischen im Schlepptau der amerikanischen
Iran-Politik. Auch der russische Vorschlag, die Urananreicherung auf russischem
Boden durchzuführen, dürfte an der Absicht Teherans scheitern, sich wegen der
Atomstromproduktion nicht vom Ausland abhängig machen zu wollen. Durch die
Logik vom scheinbar unauflösbaren Gegensatz zwischen den Konfliktparteien gerät
eine weitere Konfliktzuspitzung - letztlich auch ein Krieg - immer mehr in den
Bereich der Wahrscheinlichkeit, und dies trotz der massiven Rückschläge für die
USA und die Neokonservativen im Irak. Die US-Regierung glaubt, ohne
Bodentruppen und durch die Zerstörung von Irans Atomanlagen aus der Luft die
iranische Bedrohung abzuwenden und dabei im Unterschied zum Fall Irak die
Weltöffentlichkeit auf ihrer Seite zu haben.
Washington
verfügt zweifelsohne über detaillierte Planungen für einen Luftangriff gegen
iranische Atomanlagen. Seymour Hersh, die Koryphäe im
investigativen Journalismus der USA, enthüllte im
ebenso renommierten wie vorsichtigen „New Yorker“ Mitte Januar 2005 die
Angriffsabsichten der US-Neokonservativen. „Bei
meinen Recherchen während der beiden vergangenen Monate wurde ich allerdings
mit viel undiplomatischeren Auffassungen konfrontiert. Die Falken in der
Regierung rechnen damit, dass sich schon bald das Scheitern der europäischen
Vermittlungsbemühungen mit Teheran herausstellen wird.“ Dann sei der Zeitpunkt
gekommen, an dem die US-Regierung zur Tat schreiten müsse. „Wir reden hier
nicht über irgendwelche Positionspapiere des Nationalen Sicherheitsrats“,
betonte der frühere Spitzenagent. „Über diese Hürde sind die längst hinweg. Es
geht nicht mehr darum, ob sie irgendetwas gegen Iran unternehmen. Sie werden es
tun.“ (Hersh in: Der Spiegel 4/2005) Scott Ritter,
ehemaliger Irak-UN-Beauftragter, will von der
dezidierten Absicht der USA wissen, Iran durch eine Resolution im
UN-Sicherheitsrat verpflichten zu wollen, der IAEA sowohl die Kontrolle seiner
nuklearen wie auch aller militärischen Einrichtungen zu jedem Zeitpunkt und
ohne Voranmeldung zu erlauben. Da jedoch der Iran - wie vorauszusehen ist -
eine derart weitreichende Resolution als Angriff auf
die eigene Souveränität auffassen und daher zurückweisen würde, fühlte sich die
US-Regierung hinreichend legitimiert, mit oder auch ohne Zustimmung des
Sicherheitsrates gegen den Iran Krieg zu führen und z. B. Irans nukleare und
militärische Anlagen aus der Luft zu bombardieren.
Daniel
Ellsberg, der durch die Veröffentlichung von
Geheimdokumenten des Pentagons zum Vietnamkrieg zum vorzeitigen Ende des
Krieges beitrug, hält es für wahrscheinlich, dass die US-Regierung einen
Luftkrieg gegen den Iran unternehmen wird, und zwar zu einer Zeit, die ihr
politisch geeignet erscheint. Glaubte man den Aussagen in dem
Unternehmenskreisen nahestehenden Magazin
„Vertrauliche Mitteilungen aus Politik, Wirtschaft und Geldanlage“, dann hätten
US-Unterhändler bereits im Oktober 2005 mit den Vertretern wichtiger
Industrienationen und internationaler Finanzinstitutionen Stützungsmaßnahmen
für Börsen- und Währungskurse vereinbart, die im Falle eines Krieges gegen den
Iran ergriffen werden sollten. Dabei ginge es vor allem darum zu verhindern,
dass der US-Dollar seine Funktion als Öl-Leitwährung verliert. "Die
Gesprächsteilnehmer wurden instruiert, dass das Eingreifen der USA im März 2006
erforderlich werden könnte. Die Planungen gehen offenbar von einem möglichen Angriff
zu diesem Termin aus."
Indizien
für eine Art psychologische Kriegsvorbereitung erhärten die Annahme ernsthafter
Kriegsabsichten der Vereinigten Staaten. Dazu gehört die systematische
Stigmatisierung Irans als unglaubwürdige Konfliktpartei. Die in den neunziger
Jahren begangenen Rechtsbrüche werden immer wieder aufgefrischt, obwohl Irans
Atomanlagen inzwischen zu den weltweit bestkontrollierten Anlagen gehören. Zu
beobachten sind auch die systematischen „Enthüllungen“, die das Unglaubwürdikeitsstigma festigen sollen. Im November 2005
wurde die Meldung der Entdeckung eines Laptops mit geheimen Details lanciert.
Tatsächlich liegt dieser Laptop dem CIA aber bereits seit einem Jahr vor und
enthält keineswegs derart hochstilisierte Geheiminformationen. Ein fünfseitiges
Dokument mit Zeichnungen zum Bau von Atombomben wurde ebenfalls im November als
neue Enthüllung deklariert. Tatsächlich hatte aber der Iran selbst dieses
Dokument der IAEA übergeben. Besonders gravierend ist die Umkehrung der
Beweislast für den Iran, keine Absicht zum Bau von Atombomben zu hegen. Da
jegliche iranische Beteuerung in Zweifel gezogen werden kann, dürfte der Iran
immer auf der Anklagebank sitzen. Zu den psychologischen Kriegsvorbereitungen
gehören auch die periodisch aufgestellten Behauptungen, der Iran sei für das
Chaos im Irak mitverantwortlich, weil er die Terroristen unterstütze und mit
der Al Kaida zusammenarbeite.
5. Über die Rolle der EU und Alternativen zu einem neuen Krieg
Die
EU-Diplomatie scheiterte nicht nur an Teheran, sondern auch an Washington.
Durch die Ablehnung jedweder, für Iran unverzichtbarer Sicherheitsgarantien
hatte Washington die EU-Diplomatie in der Hand und ließ sie mit der Absicht,
den Fall vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen und selbst den weiteren Ablauf in
die Hand zu nehmen, scheitern. Den EU-Drei Deutschland, England und Frankreich
bleibt jetzt - sofern sie sich aus der Iran-Falle der USA nicht herauslösen -
keine andere Wahl, als der US-Taktik im Sicherheitsrat zu folgen und
schließlich auch einen Luftkrieg der USA moralisch zu legitimieren. Auch
Russland, das sich bisher gegen eine mögliche Resolution des Sicherheitsrates
gewandt hat, droht angesichts eines voraussehbaren Scheiterns seiner Initiative
das gleiche Schicksal wie der EU, der US-Eskalationsstrategie nichts mehr
entgegensetzen zu können.
Mögliche
Alternativen zu einem drohenden Krieg sind allesamt komplex und erscheinen
sogar mehr oder weniger als utopisch. Aber es gibt sie und es kommt darauf an,
sie von der visionären auf eine politisch-praktische Ebene zu bringen:
Erstens
die multilaterale Kontrolle sämtlicher Atomanlagen in Industrie- und
Entwicklungsländern entsprechend des Vorschlags von El Baradei,
und damit die völkerrechtliche Gleichstellung aller Staaten. Dieser Weg wäre
konsequent und auch ein entscheidender Schritt in Richtung einer weltweiten
Abrüstung von Atomwaffen. Allerdings muss damit gerechnet werden, dass kein
Atomwaffenstaat sich darauf einlassen wird, und dass damit dieser Weg vorerst
keine Antwort auf den Atomkonflikt mit Iran liefert.
Zweitens
die multilaterale Kontrolle der Urananreicherungsanlagen Irans und auch anderer
Schwellenländer mit einem Atomprogramm auf internationalem Boden, wie vom SIPRI
vorgeschlagen worden ist. Auf eine derartige Möglichkeit würden sich der Iran
und auch andere Länder nicht einlassen, da sie letztlich dazu führen würde,
zwei Klassen von Staaten mit unterschiedlichen Rechten zu schaffen. Die
Abhängigkeit vom Ausland bliebe bei dieser Alternative bestehen, eine objektive
Sicherheitsgarantie für die dauerhafte Lieferung von nuklearen Brennstäben
könnte die UN letztlich nur im Falle eines UN-Gewaltmonopols geben. Andernfalls
besteht immer die Möglichkeit, dass die USA oder andere Staaten die
Brennstofflieferung militärisch verhindern. Zudem macht dieser Vorschlag den
Weg für eine flächendeckende Weiterverbreitung von Atomkraftwerken in den
Entwicklungsländern frei. Darüber hinaus gibt dieser Weg keine Antwort auf
Irans Sicherheitsdilemma und die Abrüstung im Nahen und Mittleren Osten.
Drittens
der Vorstoß zu konkreten Schritten für ein System der gemeinsamen Sicherheit
und Zusammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten analog zum KSZE-Prozess mit dem
Ziel der Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in der gesamten Region. Dies ist
zwar auch kein einfacher Weg, aber er verspricht größere Realisierungschancen
und ist gleichzeitig auch eine zukunftsfähige Antwort auf viele andere
grenzüberschreitende Konfliktfelder, wie z.B. territoriale Streitigkeiten,
ethnische Konflikte, grenzüberschreitende Nutzung von Energiequellen und
Gewässern etc. Die USA werden sicherlich über einen derartigen Vorstoß nicht
gerade glücklich sein. Dagegen ist die Perspektive eines befriedeten Mittleren
und Nahen Ostens für Europa in vieler Hinsicht von existenzieller Bedeutung.
Auch Russland und China hätten keinen konkreten Anlass dagegen zu sein und
dürften einen Vorstoß in diese Richtung wahrscheinlich unterstützen. Die EU ist
die einzige politische und moralische Kraft, mit diesem Vorschlag aufzuwarten
und ihn mit konkreten Schritten zu koppeln. Dazu gehört die Einberufung einer
baldigen regionalen Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit, die seriös
vorbereitet und demnächst durchgeführt werden müsste. Damit wird nicht zuletzt
Iran signalisiert, sein Sicherheitsdilemma ernst zu nehmen, so dass auch der
Iran sich aller Wahrscheinlichkeit nach bis auf Weiteres
zu einem Verzicht auf Urananreicherung bereit erklären könnte. Dieser Vorstoß
müsste, um innerhalb von Europa akzeptanzfähig zu sein und auch Israels
vermutlich massive Gegnerschaft abzumildern, mit konkreten Vorschlägen sowie
unzweifelhaften und objektiven Sicherheitsgarantien für die Existenz Israels
z.B. durch die USA und die EU gekoppelt sein. Die EU sollte dem Iran
gleichzeitig auch den Vorschlag unterbreiten, ihm regenerative Energietechnologien
zu liefern und das Land bei der Etablierung eines zukunftsfähigen und
umweltfreundlichen zweiten Standbeins zur Energieversorgung zu unterstützen.
Dieser Weg öffnet immerhin ein neues Fenster des Friedens und setzt mit der
Perspektive zur Schaffung einer Organisation der regionalen Sicherheit und
Zusammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten (OSZMNO) einen Prozess in Gang, dem
sich auf Dauer kein Staat der Region, weder der Iran noch Israel, wird
verschließen können.
* Professor für Politik und Wirtschaft am Fachbereich
Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück mit den Forschungsschwerpunkten
Mittlerer und Naher Osten, Energie, Friedens- und Konfliktforschung,
Nord-Süd-Konflikt.
* Vortrag beim 12. Friedenspolitischen Ratschlag,
3./4. Dezember 2005, Universität Kassel. Wir haben bei der Wiedergabe des
Manuskripts auf den Anmerkungsapparat verzichtet. Der vollständige Text wird in
dem "Ratschlags-Buch" veröffentlicht, das in der ersten Jahreshältfte 2006 erscheinen soll ("Neue Kriege in Sicht").
Der Krieg gegen den Iran hat längst
begonnen
"Israel
von der Landkarte löschen" - Über die angeblichen Äußerungen des
iranischen Präsidenten Ahmadinedschad
Über den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad
ist viel geschrieben und polemisiert worden. Die Äußerungen, die er im Herbst
letzten Jahres im Zusammenhang mit Israel oder dem Holocaust gemacht hat, waren
unerträglich. - Das ist Konsens - in der Friedensforschung, in der
Friedensbewegung, in der politischen Klasse. Doch was ist, wenn es sich bei den
hier zu Lande kolportierten Zitaten und Zitatbruchstücken um Vereinfachungen,
Verzerrungen, ja: Verfälschungen handelt?
Nun, damit wird Ahmadinedschad noch lange nicht zum
Demokraten. Und die in Teheran herrschende Verbindung von Politik und Religion
muss deswegen auch nicht gleich für gut befunden werden. Und massive
Menschenrechtsverletzungen, kürzlich wieder demonstriert beim Polizeieinsatz
gegen Streikende, bleiben weiterhin ein Stein des Anstoßes und der berechtigten
Kritik unsererseits. All das rechtfertigt aber keine Kriegsdrohungen und
Kriegsvorbereitungen gegen einen souveränen Staat.
Im Folgenden dokumentieren wir eine medienkritische Analyse der "Arbeiterfotografie",
die unter Bezugnahme auf eine Veröffentlichung der ganzen Rede von Ahmadinedschad in der New York Times zeigt, welche
Metamorphosen die Äußerungen des iranischen Präsidenten bei ihrem Weg in die
westlichen Wohnzimmer durchgemacht haben. Mag die Darstellung dazu beitragen,
die kritische Distanz unserer Leserinnen und Leser zu den Medien zu schärfen.
Von Anneliese Fikenscher und Andreas Neumann
Israel
dem Erdboden gleichmachen, zerschlagen, vernichten, zerstören, tilgen,
ausradieren, von der Landkarte löschen - das habe der iranische Präsident
gefordert - lesen oder hören wir Ende Oktober 2005 in der 'taz',
in der 'Berliner Zeitung', der 'Welt', im 'stern', im
'Spiegel', in der 'Zeit', in der F.A.Z., der Frankfurter Rundschau, beim ZDF, in
der Tagesschau und bei N24 - um nur einige zu nennen. Das, was hier verbreitet
worden ist, hat gewirkt. Eine Kriegserklärung des Iran an Israel sei das. Man
ist sich in den Medien offensichtlich einig in der Empörung. Sie geht rund um
die Welt. Aber lesen wir genauer, was der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad gesagt hat. Es ist das Verdienst der 'New
York Times', uns die Rede komplett zur Verfügung zu stellen. Hier ein
Auszug der Veröffentlichung
vom 30.10.2005:
"They say it is not possible to
have a world without the
(Quelle:
www.nytimes.com,
Einschübe in eckigen Klammern von der New York Times; Passagen in dreifach
eckigen Klammern fehlen in der weiter unten wiedergegebenen MEMRI-Fassung)
Einige
Sätze davon in deutscher Übersetzung: "Man sagt, eine Welt ohne USA und
Zionismus sei nicht möglich. Aber Sie wissen, daß das
ein mögliches Ziel und eine mögliche Losung ist. [...] Unser lieber Imam sagte,
das Besatzungsregime müsse von der Karte gefegt werden. Und das war eine sehr
weise Äußerung. Wir können mit dem Thema Palästina keine Kompromisse machen.
[...] Unser lieber Imam zielte auf das Herzstück des Weltunterdrückers in seinem
Kampf und meinte damit das Besatzungsregime. Ich habe keinen Zweifel, daß die neue Bewegung, die in Palästina begonnen hat - und
wir nehmen das auch in der islamischen Welt wahr - den Schandfleck aus der
islamischen Welt enfernen wird."
Es
wird klar. Die Äußerungen des iranischen Präsidenten sind in den Medien
manipuliert wiedergegeben. Irans Präsident bezeichnet die Beseitigung der
'Regime', die in Israel und den USA an der Macht sind, als mögliches Ziel. Das
ist richtig. Aber nirgends fordert er die Beseitigung oder Auslöschung Israels.
Er macht deutlich, daß Veränderungen möglich sind.
Das von den USA gestützte Schah-Regime in seinem eigenen Land wurde überwunden.
Das östliche Herrschaftssystem der Sowjetunion kollabierte. Die Herrschaft
Saddam Husseins ging zu Ende. Und so gibt er der Hoffnung Ausdruck, daß auch in Israel bzw. Palästina Veränderungen möglich
sein werden. Ayatollah Khomeini zitiert er unter Bezugnahme auf das
Schah-Regime, der in diesem Zusammenhang davon gesprochen habe, das Regime
(also das Schah-Regime) müsse beseitigt werden.
Gewiss,
Ahmadinedschad überträgt diese Äußerung hinsichtlich
eines Regierungswechsels auch auf das besetzte Palästina. Das muß erlaubt sein. Sich in einem Land andere Verhältnisse zu
wünschen, ist weltweit durchaus an der Tagesordnung. Aber aus der Forderung
nach Beseitigung eines 'Regimes' die Forderung nach Beseitigung eines Staates
zu konstruieren, ist grobe Irreführung. Das ist gefährliche Demagogie. Das ist
Teil des Krieges gegen den Iran, der mit den Worten von Georg Meggle, Professor für Philosophie an der Universität
Leipzig, bereits begonnen hat - nämlich mit der möglicherweise wichtigsten, der
vorbereitenden Propaganda-Phase.
Nur
am Rande sei bemerkt, daß es der damalige
stellvertretende Verteidigungsminister der USA und heutige Präsident der
Weltbank, Paul D. Wolfowitz, war, der im September
2001 öffentlich ohne jede Scheu vom Auslöschen von Staaten sprach. Und es war
Bush Vater, der vom gewinnbaren Atomkrieg sprach, wenn nur das Überleben einer
Elite gesichert ist.
Greifen
wir ein Beispiel heraus. tagesschau.de schreibt am
27.10.2005 über Irans Präsidenten: "Er zitierte den iranischen
Revolutionsführer Ayatollah Khomeini: 'Wie schon der Imam sagte, muss Israel
von der Landkarte getilgt werden.'" Das ist eindeutig - und wir müssen
befürchten bewußt - falsch wiedergegeben. Die
beiden Stellen im Text des iranischen Präsidenten mit Bezug auf Ayatollah Khomeini lauten:
"When our dear Imam said that the regime [Schah-Regime]
must be removed, many of those who claimed to be politically well-informed said
it was not possible." Und: "Our dear Imam said that the occupying
regime must be wiped off the map and this was a very wise statement." In deutscher Übersetzung: "Als
unser lieber Imam sagte, das [Schah-]Regime müsse beseitigt werden, sagten
viele von denen, die sich für politisch gut informiert hielten, das das nicht
möglich sei." Und: "Unser lieber Imam sagte, das Besatzungsregime
müsse von der Karte gefegt werden. Und das war eine sehr weise Äußerung."
Nirgends nehmen diese Äußerungen Bezug auf Israel. Und wenn es zulässig sein
sollte, einen solchen Bezug hinein zu interpretieren, bleibt es eindeutig
unzulässig zu suggerieren, die Äußerungen hätten sich nicht auf das 'Regime',
das die Palästinenser-Gebiete besetzt hält, sondern auf die Existenz des
Staates Israel bezogen.
Eine
andere Manipulation ist es, wenn tageschau.de
schreibt: "Es gibt keinen Zweifel: Die neue Anschlagswelle in Palästina
wird das Stigma im Antlitz der islamischen Welt ausradieren." Dort, wo das
Wort 'wave' steht, lesen wir bei tagesschau.de
'Anschlagswelle'. 'Das Wort 'wave' mit
'Anschlagswelle' wiederzugeben, ist Desinformation. Korrekt könnte es heißen:
"Die neue Bewegung in Palästina wird den Schandfleck aus der islamischen
Welt enfernen." Auch diese Äußerung bezieht sich
auf das - im vorangegangenen Satz benannte - Besatzungsregime.
Betrachten
wir den Redetext zur Sicherheit noch in einer weiteren Übersetzung - in einer
Fassung des in Washington ansässigen Middle East
Media Research Institute (MEMRI):
"They [ask]: 'Is it possible
for us to witness a world without
(Quelle: http://memri.org,
Einschübe in einfachen eckigen Klammern von MEMRI, Auslassungen gegenüber der
'New York Times' in dreifach eckigen Klammern)
Hier
kommt das Wort 'Karte' bzw. 'Landkarte', auf das die Medien so breit Bezug
nehmen, gar nicht vor. Während es in der 'New York Times' geheißen
hatte: "Our dear Imam said that the occupying
regime must be wiped off the map" heißt es hier in der Fassung von MEMRI: "Imam [Khomeini] said: This regime
that is occupying Qods [
MEMRI
stellt der Übersetzung - gewissermaßen als Titel - folgende Formulierung voran:
"Very Soon, This Stain of Disgrace
[i.e. Israel] Will Be Purged
From the Center of the Islamic World – and This is Attainable",
reißt sie damit aus ihrem Zusammenhang und gibt ihr mittels der Einfügung 'i.e. Israel' den beabsichtigten verfälschenden Sinn.
Ansonsten fällt auf, daß MEMRI diejenigen Passagen
aus der Übersetzung beseitigt hat, die das von den USA gestützte Schah-Regime
als Terror-System charakterisieren und damit gleichzeitig den Charakter der
US-amerikanischen Politik erkennbar werden lassen.
In
Kürze seien hier noch zwei weitere Fälle von Mitte Dezember 2005 thematisiert:
Der iranische Präsident wird - hier als Beispiel tagesschau.de
vom 14.12.2005 - wie folgt wiedergegeben: "der Staat Israel solle in eine
andere Weltgegend verlegt werden, etwa 'nach Europa, in die USA, nach Kanada
oder Alaska'". Laut
CNN vom 15.12.2005 lautet das Zitat aber
wie folgt: "If you
have burned the Jews, why don't you give a piece of
Gleichzeitig
ist dieses Zitat ein Beleg dafür, daß er den
Holocaust - wie vielfach behauptet - keineswegs leugnet. Im Gegenteil: er
bezeichnet das, was mit den Juden geschehen ist, als gewaltiges Verbrechen. Bei
tagesschau.de vom 14.12.2005 dagegen lesen wir:
"Der 'Mythos vom Massaker an den Juden' werde in den westlichen Staaten
'höher gestellt als Gott, die Religionen und die Propheten'." Oder an
anderer Stelle: "Mahmud Ahmadinedschad
bezeichnete den Holocaust als 'Mythos'." Bei N24 am 14.12.2005 lautet das
Zitat dagegen: "Sie haben im Namen des Holocaust einen Mythos geschaffen
und schätzen diesen höher als Gott, die Religion und die Propheten". Auch
hier besteht ein essentieller Unterschied. Was er laut N24 sagt, ist durchaus
nachvollziehbar. Es kann nicht angehen, Verbrechen, die gegen das
palästinensische Volk begangen werden, zu übersehen, weil es ein anderes
Verbrechen, das gegen Juden begangen worden ist, gegeben hat. Die Nachkommen
der Opfer dürfen in keinem Rechtssystem ungestraft zum Täter werden.
Eine
Reuters-Meldung vom 21.2.2006 bestätigt: "Der
iranische Außenminister Manuchehr Mottaki
hat [...] dementiert, dass sein Land den jüdischen Staat Israel 'von der
Landkarte tilgen' wolle. [...] Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad
sei falsch verstanden worden. 'Niemand kann ein Land von der Landkarte
entfernen.' Ahmadinedschad habe nicht den Staat
Israel sondern das dortige Regime gemeint [...]. 'Wir erkennen dieses Regime
nicht als rechtmäßig an.' [...] Mottaki erkannte auch
an, dass es den Holocaust gegeben hat, bei dem während des Nationalsozialismus
sechs Millionen Juden ermordet worden waren."
Die Formulierungen der Meldung sind zwar irritierend. Es kann nicht dementiert
werden, was gar nicht gesagt worden ist. Und die Meldung hat bei weitem nicht
den Verbreitungsgrad wie die mit der Falschinformation. Aber trotzdem ist die
Meldung bemerkenswert.
Der iranische Außenminister Manuchehr Mottaki zum Holocaust: Der iranische Außenminister Manuchehr
Mottaki hat dementiert, dass sein Land den jüdischen
Staat Israel "von der Landkarte tilgen" wolle. Er sagte am 20. Feb.
vor Journalisten in Brüssel, Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad
sei falsch verstanden worden. "Niemand kann ein Land von der Landkarte
entfernen." Ahmadinedschad habe nicht den Staat
Israel sondern das dortige Regime gemeint. "Wir erkennen dieses Regime nicht
als rechtmäßig an." Mottaki erkannte auch an,
dass es den Holocaust gegeben hat, bei dem während des Nationalsozialismus
sechs Millionen Juden ermordet worden waren. Ahmadinedschad
hatte den Holocaust im Dezember noch als einen Mythos bezeichnet. Vor dem
Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlaments sagte Mottaki
einem Übersetzer zufolge: "Unsere Freunde in Europa unterstreichen, das
solch ein Verbrechen stattgefunden hat. Und sie haben bestimmte Opferzahlen
genannt. Wir bestreiten das nicht. Was wir hier aber sagen ist, warum sollen
die Moslems einen Preis dafür bezahlen, dass dieses schreckliche Ereignis
wieder gut gemacht wird?" (Quelle: Focus, 21. Feb.)
Der
nächste Schritt ist, den iranischen Präsidenten mit Hitler in Verbindung zu
bringen. Am 20.2.2006 sagt der Vorsitzende des Rates der Juden in Frankreich (Crif) in Paris: "Die Erklärungen des iranischen
Präsidenten stehen Hitlers 'Mein Kampf' in nichts nach". Paul Spiegel,
Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, bezeichnet die Äußerungen
Mahmud Ahmadinedschads in der 'Welt' vom 10.12.2005
als "das Schlimmste, was ich in dieser Hinsicht von einem Staatsmann
gehört habe seit Adolf Hitler". Und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel
rückt den iranischen Präsidenten in die Nähe zu Hitler und Nationalsozialismus,
indem sie am 4.2.2006 in München sagt: "Anfang der 30er Jahre haben auch
viele gesagt, das ist nur Rhetorik. Man hätte rechtzeitig vieles verhindern
können, wenn man gehandelt hätte... Wir haben uns in Deutschland verpflichtet,
den Anfängen zu wehren und alles daran zu setzen, um deutlich zu machen, was
geht und was nicht geht. Iran hat es selbst in der Hand."
Das
alles deutet auf Krieg. Slobodan Milosevic wurde zu Hitler. Es folgte der Krieg
der Nato gegen Jugoslawien. Saddam Hussein wurde zu Hitler. Es folgte der Krieg
der USA und ihrer Koalition der Willigen gegen den Irak. Jetzt wird der
iranische Präsident zu Hitler.
Und
jemand wie Hitler kann hundertmal versichern, die Kernenergie friedlich nutzen
zu wollen. Ihm wird nicht geglaubt. Jemand wie Hitler kann im Rahmen aller
Verträge agieren. Ihm wird trotzdem vertragswidriges Handeln unterstellt.
"Praktisch völlig übersehen wird im Westen, dass Anreicherung absolut
legal ist. Kein Vertrag, kein Völkerrecht verbietet das. Im Gegenteil: Der
Westen ist eigentlich verpflichtet, Iran dabei sogar zu helfen. So sieht es der
Atomwaffensperrvertrag vor. Solange ein Land auf die Bombe verzichtet, hat es
Anspruch auf technische Hilfe der Atommächte." (Jörg Pfuhl vom
ARD-Hörfunkstudio Istanbul am 11.01.2006) Nur - das alles zählt nicht, wenn das
Oberhaupt eines Staates als Hitler stigmatisiert ist.
Original-Quelle
der Rede des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad
vom 26.10.2005 auf persisch: Iranian Students News Agency (ISNA), www.isna.ir.
Und
hier noch einige Zitate aus der deutschen Medienlandschaft von Ende Oktober
2005:
Der
Staat Israel solle dem Erdboden gleichgemacht werden - Aufruf des iranischen
Präsidenten Ahmadinedschad zur Vernichtung Israels (taz) - Kriegserklärung gegen den jüdischen Staat - Irans
Präsident fordert die Vernichtung Israels (Berliner Zeitung) - Irans Präsident
fordert Zerstörung Israels (netzzeitung.de) - Mit
Empörung hat die internationale Gemeinschaft auf den Aufruf des neuen
iranischen Präsidenten zur Vernichtung Israels reagiert - Irans Präsident will
den jüdischen Staat 'von der Landkarte tilgen' (Die Welt) - Irans Präsident
will Israel von der Landkarte tilgen - Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat zur Zerstörung Israels aufgerufen (Der
Spiegel) - Irans neuer Staatschef: Israel 'von Landkarte radieren' (Focus) -
Iran 'Von der Landkarte tilgen' - Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat am Mittwoch zur Zerstörung Israels
aufgerufen (Die Zeit) - Iran Präsident fordert Zerstörung Israels - Der
iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat dazu
aufgerufen, Israel von der Landkarte zu tilgen (Stern) - Irans Präsident
verlangt die 'Tilgung Israels' (Hamburger Abendblatt) - Vernichtung Israels
befürwortet (Handelsblatt) - Iran schürt Nahost-Konflikt: 'Israel zerstören'
(N24) - Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat
öffentlich gefordert, Israel von der Landkarte zu löschen (ZDF heute) - 'Von
der Landkarte tilgen' - Irans Präsident fordert Vernichtung Israels - Ahmadinedschad: 'Schandfleck Israel tilgen' (tagesschau.de) - Aufruf zur Zerstörung Israels - Irans
Präsident: Von der Karte tilgen (Rheinischer Merkur) - Irans Präsident will
Israel zerstören - Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinejad
hat gefordert, Israel von der Landkarte zu löschen - Es ist das erste Mal seit
Jahren, dass ein ranghoher iranischer Politiker öffentlich die Zerschlagung
Israels verlangt (tagesanzeiger.ch) - Irans Präsident kündigt die Zerstörung
Israels an - Irans Präsident Mahmoud Ahmadinejad hat am Mittwoch zur Zerstörung Israels
aufgerufen (hagalil.com) - Iran: 'Israel wird ausradiert' (F.A.Z.) - Irans
Präsident droht Israel Vernichtung an (Frankfurter Rundschau)
Es
ist haarsträubend. Die Gleichsetzung von 'Regime' und Existenz eines Staat ist - es lässt sich beim besten Willen nicht anders
bezeichnen - undifferenzierte Propaganda. Und das ist nur ein kleiner
Ausschnitt aus dem deutschsprachigen Teil der weltweiten Kampagne gegen den
Iranischen Präsidenten.