Motive der Konfliktparteien im Iran-Atomkonflikt

Das Scheitern der EU-Diplomatie und Alternativen zu einem neuen Krieg

Von Mohssen Massarrat*

Der Iran-Atomkonflikt wird in der öffentlichen Debatte überwiegend darauf zurückgeführt, dass das iranische Atomprogramm nicht nur energiepolitische Ziele, sondern auch militärische Ziele verfolgt und dass die „internationale Gemeinschaft“ aus Sorge um die Nicht-Weiterverbreitung von Atomwaffen Iran zu einer Änderung seiner Atompolitik bewegen will. In der Logik dieser Konfliktbeschreibung liegen auch Schlussfolgerungen, die einen Gewalteinsatz als Mittel zur Konfliktlösung legitimieren: „Sollte Teheran nicht zu mehr Flexibilität bereit sein“, so Oliver Thränert von der Stiftung Wissenschaft und Politik „dürfte es kaum eine andere Möglichkeit geben, als zu versuchen, durch Beschlussfassung des UN-Sicherheitsrates Iran auch mit nicht-kooperativen Mitteln von seinen allem Anschein nach bestehenden Absichten, sich eine Atomwaffenoption zu verschaffen, abzubringen.“

Diese die Anwendung von nicht-kooperativen Mitteln, letztlich einen neuen Krieg befürwortende Position, die inzwischen leider in Europa und in Deutschland zur Mainstream-Position geworden ist, ist empirisch einseitig und unterschlägt die vielschichtigen Motive und Interessenlagen auf beiden Seiten des Konflikts. Der Iran verfolgt mit seinem Atomprogramm energiepolitische, sicherheitspolitische sowie wirtschafts- und technologiepolitische Ziele mit national-symbolischer Bedeutung. Der Westen verfolgt dagegen einerseits das Ziel zu verhindern, dass der Iran eine regionale Atommacht wird. Andererseits kristallisiert sich auch immer deutlicher heraus, dass sich hinter dem Vorwand der Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen eine Strategie der flächendeckenden Weiterverbreitung von Atomenergie und handfeste Interessen der internationalen, vor allem der US-amerikanischen Nuklearindustrie verbirgt. Im Folgenden sollen zunächst die Motive und Interessen beider Seiten näher erläutert und dann Alternativen zum Gewalteinsatz und Krieg skizziert werden.

1. Energie- und nukleartechnologische Motive

Das iranische Energieministerium prognostiziert bis 2025 den Bedarf einer Kraftwerkskapazität von 100.000 Megawatt, die gegenwärtige Kapazität beträgt ca. 40.000 MW. Dieser Bedarf wird mit steigender Bevölkerungszahl und wachsendem Lebensstandard begründet. Zur Deckung des wachsenden Strombedarfs seien – so die iranische Regierung - demzufolge 15 – 20 Atomkraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 20.000 MW erforderlich. Anderenfalls wäre der Iran gezwungen, bald die gesamte Öl- und Gasproduktion für den einheimischen Verbrauch einzusetzen (gegenwärtig beträgt dieser Anteil 40%), mit der Folge, dass seine Deviseneinnahmen auf Null sinken würden. Diese doch beträchtliche nukleare Kraftwerkskapazität setze – so Teheran – einen eigenständigen iranischen Brennstoffkreislauf, d.h. die Herstellung von yellow cake, die Erzeugung des gasförmigen Uranhexafluorid (UF6) und schließlich die Urananreicherung auf 3% voraus. Nur so könne langfristig die eigene energiepolitische Unabhängigkeit und Sicherheit garantiert werden.

Mit einer ähnlichen Argumentation schuf 1975 das mit den USA verbündete Schah-Regime - seinerzeit mit Zustimmung und Unterstützung von USA und Europa - das iranische Atomprogramm, das schon damals den vollständigen Brennstoffkreislauf einschloss. 1981 - also nach der islamischen Revolution, die 1979 stattfand - beschloss die neue islamische Führung, das nukleare Programm des alten Regimes weiterzuführen. Inzwischen sind ca. 4.000 hoch dotierte Ingenieure und Wissenschaftler in der iranischen Nuklearindustrie beschäftigt, die - ganz in Übereinstimmung mit der Propaganda der europäisch-amerikanischen Nuklearindustrie - den Atomstrom als die einzige Alternative zu erschöpfbaren fossilen Energiequellen erklären und dafür plädieren, die Atomenergie zum zweiten Standbein der iranischen Energieversorgung zu machen.

Die Prognosen zum Strombedarf entsprechen den Wünschen iranischer Atomenergieexperten, die genauso willkürlich und unbegründet sind wie die Strombedarfsprognosen der deutschen Atomindustrie vor 30 Jahren. Erstens werden in dieser Prognose die technologischen Möglichkeiten zur Steigerung der Energieeffizienz und Absenkung des Bedarfs in großem Umfang nicht berücksichtigt. Zweitens wird die Perspektive der Nutzung von regenerativen Energiequellen, deren Potentiale im Iran beträchtlich sind, als Alternative zur Nuklearenergie und ein zweites Standbein neben den fossilen Energiequellen systematisch ausgeblendet.

Die USA und die EU haben bisher weder die iranischen Strombedarfsprognosen, und damit die angepeilte nukleare Kraftwerkskapazität in Frage gestellt noch von sich aus die Alternative regenerativer Energietechnologien für Irans Energieversorgung ins Spiel gebracht. Ganz im Gegenteil erklärte sich die EU in ihrem Angebot vom 8. August 2005 bereit, Iran beim massiven Ausbau der Atomenergie zu unterstützen, allerdings mit der nicht verhandelbaren Bedingung eines dauerhaften iranischen Verzichts auf Urananreicherung. Diese Bedingung liefe aus iranischer Sicht jedoch darauf hinaus, die für die Sicherheit der Energieversorgung sensibelste Stufe der nuklearen Energieerzeugung ins Ausland zu verlagern und sich in eine dauerhafte Abhängigkeit zu begeben. Alle Fraktionen der iranischen Elite lehnen dieses Ansinnen mit einem durchaus einsichtigen Argument rundweg ab: „Wir wollen“, so die überwiegende Ansicht der Regierung und des Parlaments „die Abhängigkeit von eigenen fossilen Energiequellen reduzieren, aber nicht um den Preis einer neuen energiepolitischen Abhängigkeit, und dazu noch einer Abhängigkeit vom Ausland bzw. von Staaten, die uns nicht freundlich gesinnt sind“. Tatsächlich wäre der Iran dadurch jederzeit erpressbar und seine kostspieligen Atomanlagen wären im Konfliktfall keinen Pfifferling mehr wert. Teheran wirft den USA und der EU vor, unter dem Vorwand der Nicht-Weiterverbreitung von Atomwaffen die Weiterverbreitung und den flächendeckenden Export von Atomkraftwerken absichern und entgegen den Bestimmungen des Atomsperrvertrages (NPT) zwei Klassen von Staaten mit unterschiedlichen Rechten schaffen zu wollen.

Präzedenzfall Iran

Die Annahme ist durchaus nicht abwegig, dass im Süden eine von der internationalen Nuklearindustrie, hauptsächlich der US-Nuklearindustrie, abhängige Energieversorgung etabliert werden soll. Angesichts der weltweit steigenden Energienachfrage, der sinkenden fossilen Energieressourcen und der Notwendigkeit zur Reduktion von CO2 rechnet die internationale Nuklearindustrie mit einer Renaissance der Atomkraftwerke, zumal vor allem die US-Nuklearindustrie Prototypen von Mini-AKWs entwickelte, die auch in ländlichen Gebieten dezentral installiert werden könnten. Doch diese langfristig angelegte Strategie der Weiterverbreitung von Atomenergie erfordert gleichzeitig eine überzeugende neue Strategie der Nicht-Weiterverbreitung von Atomwaffen, zumal NPT sich dazu als lückenhaft erwiesen hat. In diesem Kontext ist es naheliegend, durch Iran notfalls auch mittels Gewalteinsatz den Präzedenzfall für zwei Klassen von Staaten mit unterschiedlichen Rechten zu schaffen: Erstens die Industriestaaten, allen voran die USA, mit allen rechtlichen Möglichkeiten der AKW-Produktion und weltweiten Exports. Und zweitens die Länder des Südens, denen die Rolle zugewiesen wird, die AKWs importieren zu dürfen, im übrigen aber von fremder Brennstoffversorgung, und damit der Nuklearindustrie der Industrieländer de facto langfristig abhängig zu werden.

Für diese Annahme spricht, dass im 35-seitigen EU-Angebot an den Iran die Handschrift der internationalen Nuklearindustrie nicht zu übersehen ist. Die drei EU-Staaten Deutschland, Frankreich und England vermieden es in diesem Angebot konsequent, dem Iran zur Deckung der Bedarfslücke anstelle von Atomtechnik als zweites Standbein regenerative Energietechnologien anzubieten, obwohl ein derartiges Angebot dem Unabhängigkeitsargument der iranischen Seite Rechnung tragen und dem iranischen Atomprogramm auf glaubwürdige Weise die energiepolitische Legitimation entziehen würde. Es ist jedenfalls unbegreiflich, warum ausgerechnet der grüne Außenminister und die rot-grüne Bundesregierung es versäumt haben, die regenerative Energiealternative wenigstens ins Spiel zu bringen, zumal nur diese Alternative auch die sicherste Garantie dafür darstellt, die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern. Indem die drei EU-Staaten diese Alternative bisher an keiner Stelle auch nur erwähnen und ausschließlich die Atomenergie in den Vordergrund stellen, setzen sie sich dem Verdacht aus, den Iran-Konflikt für die Sanierung der internationalen Nuklearindustrie instrumentalisieren zu wollen.

2. Das sicherheitspolitische Motiv

Der Iran ist eine regionale Mittelmacht, sicherheitspolitisch aber der militärischen Überlegenheit seiner strategischen Hauptgegner, nämlich der Hegemonialmacht USA und dem Ministaat Israel gleichermaßen, hoffnungslos ausgeliefert. Nicht nur die gegenwärtige islamische Regierung, sondern auch eine demokratisch säkulare Regierung wird sich mit dem bestehenden „Sicherheitsdilemma“ nicht abfinden. Irans Nachbarstaaten Pakistan und Russland sind Atomstaaten, Israels Atomwaffen (200-300 Atomsprengköpfe und alle dazu erforderlichen Trägersysteme) stellen für den Iran eine aktuelle Bedrohung dar. Hinzu kommt die militärische Einkreisung Irans durch die USA von allen vier Himmelsrichtungen. Die EU ignorierte in ihrem Angebot Ende August diese Realität völlig. Ihr Angebot, auf eine Bedrohung Irans mit britischen und französischen Atomwaffen zu verzichten, ist ein Hohn und eine Beleidigung für die Intelligenz des iranischen Militärs und der Sicherheitsberater. Obgleich die iranische Regierung wohlweislich jegliches Junktim zwischen ihrem Atomprogramm und dem Sicherheitsdilemma vermeidet, ist nicht von der Hand zu weisen, dass Irans Militär auf die Atomwaffenoption drängt. Der geplante Schwerwasserreaktor in der Nähe der Stadt Arak, der für die Produktion von waffenfähigem Plutonium geeignet ist, sowie das Programm zum Ausbau von Trägerraketen lassen auf die Absicht schließen, sich die technologischen und wissenschaftlichen Kapazitäten für die militärische Option zu verschaffen.

Dabei geht es dem Iran um die Herstellung der Balance of Power und eines Gleichgewichts des Schreckens, getreu den international immer noch vorherrschenden sicherheitspolitischen Doktrinen. Israel ist dagegen entschlossen, die atomare Vormachtstellung im Mittleren und Nahen Osten unter keinen Umständen aus der Hand zu geben und gegnerische Nuklearprojekte, wie 1981 in Irak, präventiv zu zerstören. Schenkt man einer informativen Spiegel-Titelgeschichte Glauben, stand Israel tatsächlich auch bereits zwei Mal kurz davor, Atombomben gegen arabische Nachbarn einzusetzen: 1973 im Yom-Kippur-Krieg und 1982 zu Beginn des Libanonkrieges. Die USA und offensichtlich auch die EU wollen, dass Israel seine atomar gestützte militärische Vormachtstellung behält. „Viele Menschen begreifen nicht hinreichend“, sagte Joschka Fischer als deutscher Außenminister in einem Zeit-Interview „warum Israel eine Position der militärischen Überlegenheit braucht.“ Wer aber von Israels militärischer Stärke spricht, der meint natürlich auch dessen Atomwaffenarsenal und nimmt wissend oder nicht wissend unweigerlich auch in Kauf, dass Israel gegebenenfalls davon Gebraucht macht. Als moralische Rechtfertigung dafür wird auf das Existenzrecht des jüdischen Staates und auf die Rhetorik führender Politiker der Region, wie jüngst die inakzeptable Äußerung des iranischen Staatspräsidenten Ahmadinedschad „der Schandfleck wird ohne Zweifel aus dem Schoß der islamischen Welt verschwinden“, hingewiesen.

Das Monopol an Atomwaffen macht Israel einerseits militärisch unangreifbar, es bedroht gleichzeitig aber alle anderen Staaten in der Region und zwingt diese dazu, sich ebenfalls Atomwaffen zu beschaffen. Dadurch wird Israels Bevölkerung zur Geisel einer permanenten Angst und Unsicherheit, dass es irgendeinem Staat der Region doch noch gelingen könnte, den jüdischen Staat mit Atomwaffen oder anderen Massenvernichtungswaffen zu bedrohen. Aus dieser Perspektive sind Israels Atomwaffen die schlechteste aller Optionen, um sein Existenzrecht zu garantieren. „Zu viel militärische Macht bringt nicht automatisch mehr Sicherheit, sondern gefährdet sie eher“, lautet der Lehrsatz des neoklassischen Realismus, der vor dem Hintergrund des atomaren Overkills im Ost-West-Konflikt formuliert und als allgemein gültig anerkannt worden ist. Der Verdacht liegt jedoch nahe, es geht den Vereinigten Staaten bei ihrer Mittelost-Politik nicht in erster Linie um die Verteidigung der Existenz Israels, sondern darum, die Existenzängste der israelischen Bevölkerung für eigene geopolitische Ziele in einer der sensibelsten Regionen der Welt zu instrumentalisieren. Ein Zustand der Unsicherheit, der Instabilität und der permanenten gegenseitigen Bedrohung liefert tatsächlich einen permanenten Grund für Parteinahme, Einmischung und schließlich auch militärische Interventionen, die den eigenen geopolitischen Interessen dienlich sind.

3. Symbolisches Motiv: Atomprogramm als nationales Projekt

Das energiepolitische Motiv Irans deckt sich weitgehend mit seinem sicherheitspolitischen Motiv. Atomenergieexperten wähnen sich im Bündnis mit den Technokraten und der militärischen Elite der islamischen Republik in einem festen Bündnis. Doch es geht um mehr: Es geht um die Mobilisierung aller, auch der regimekritischen Iraner für ein vermeintlich nationales und Identität stiftendes Projekt. Inzwischen ist das Atomprogramm tatsächlich für alle politischen Fraktionen im Iran, für Reformer wie für die Konservativen, auch für die studentische Opposition, die für Demokratie und den säkularen Staat eintritt, zu einem symbolischen nationalen Projekt geworden, an dessen Fundamenten gegenwärtig niemand rütteln kann und will.

Selbst Irans ehemaliger Staatspräsident und Reformer Khatami verteidigte das nukleare Projekt, da es „unseren nationalen Interessen, unserer nationalen Ehre, unserer Zukunft entspricht und unser Fortschritt davon abhängt.“ Noch deutlicher legt sich der konservativ orientierte Teil der iranischen Elite um den neuen iranischen Präsidenten auf das nukleare Projekt fest. „Der nukleare Brennstoffkreislauf“, sagte der neue Chef von Irans Nationalem Sicherheitsrat, Larijani, „ist ein Recht und zugleich auch ein Bedürfnis, ... kein Volk kann am Zugang zu dieser Technologie gehindert werden. Dabei dürfen wir nicht übersehen, Ahmadineschat siegte und übernahm die Macht, weil er die Idee und das Ziel für Iran verfolgte, diese Technologie zu beherrschen und den erreichten Stand zu verteidigen. Er fühlt sich diesem Anliegen nachhaltig verpflichtet. Damit ist dieses Projekt eine nationale Idee und ein nationales Ziel geworden. Es ist ein großer Fehler des Westens, dass er diese allgemein verbreitete Auffassung der Iraner ignoriert.“

Die Parallele zwischen Mossadeghs Projekt der Nationalisierung der iranischen Ölindustrie vor 55 Jahren und dem nuklearen Projekt liegt auf der Hand. Mossadeghs Projekt trug tatsächlich erheblich zum Nationalbewusstsein und zum Souveränitäts- und Freiheitsgefühl im modernen Iran bei. Die kollektive Erinnerung daran, dass es die USA und Großbritannien waren, die vor über einem halben Jahrhundert Mossadeghs Projekt der Nationalisierung des Erdöls gewaltsam zu Fall brachten, bestätigt viele Iraner in der Auffassung, dass es dem Westen auch diesmal darum geht, Irans Souveränität aushebeln zu wollen, und dass so wie damals die eigenständige Ölindustrie nun heute die Schaffung einer eigenständigen Nuklearindustrie im Iran verhindert werden soll. Doch kann das nukleare Projekt seine symbolische Funktion genauso schnell wieder verlieren wie sie entstanden ist. Das nukleare Projekt verschlingt beträchtliche Ressourcen des Landes und ist ökonomisch nicht tragfähig. Es schafft mehr Abhängigkeit und Konflikte, ohne für Irans Energiebedarf einen nennenswerten Beitrag zu leisten.

4. Wie wahrscheinlich ist ein neuer Krieg?

Die islamische Regierung hat sich auf das Recht zur Urananreicherung und die Beherrschung des gesamten Brennstoffkreislaufs festgelegt. Ein Abweichen von diesem Ziel ohne objektive Sicherheitsgarantien zur Überwindung von Irans Sicherheitsdilemma und ohne nachvollziehbare Antworten für die Möglichkeit einer selbstständigen Energieversorgung scheint so gut wie ausgeschlossen zu sein. Einseitige Forderungen ohne seriöse Gegenleistungen, wie das EU-Angebot vom 8. August 2005 , sind zum Scheitern verurteilt. Auch die USA bestehen entsprechend der oben dargestellten ökonomischen, sicherheits- und geostrategischen Motive weiterhin auf ihrem Standpunkt, Iran zu einem Verzicht auf Urananreicherung zu zwingen. Die EU-Diplomatie ist gescheitert und befindet sich inzwischen im Schlepptau der amerikanischen Iran-Politik. Auch der russische Vorschlag, die Urananreicherung auf russischem Boden durchzuführen, dürfte an der Absicht Teherans scheitern, sich wegen der Atomstromproduktion nicht vom Ausland abhängig machen zu wollen. Durch die Logik vom scheinbar unauflösbaren Gegensatz zwischen den Konfliktparteien gerät eine weitere Konfliktzuspitzung - letztlich auch ein Krieg - immer mehr in den Bereich der Wahrscheinlichkeit, und dies trotz der massiven Rückschläge für die USA und die Neokonservativen im Irak. Die US-Regierung glaubt, ohne Bodentruppen und durch die Zerstörung von Irans Atomanlagen aus der Luft die iranische Bedrohung abzuwenden und dabei im Unterschied zum Fall Irak die Weltöffentlichkeit auf ihrer Seite zu haben.

Washington verfügt zweifelsohne über detaillierte Planungen für einen Luftangriff gegen iranische Atomanlagen. Seymour Hersh, die Koryphäe im investigativen Journalismus der USA, enthüllte im ebenso renommierten wie vorsichtigen „New Yorker“ Mitte Januar 2005 die Angriffsabsichten der US-Neokonservativen. „Bei meinen Recherchen während der beiden vergangenen Monate wurde ich allerdings mit viel undiplomatischeren Auffassungen konfrontiert. Die Falken in der Regierung rechnen damit, dass sich schon bald das Scheitern der europäischen Vermittlungsbemühungen mit Teheran herausstellen wird.“ Dann sei der Zeitpunkt gekommen, an dem die US-Regierung zur Tat schreiten müsse. „Wir reden hier nicht über irgendwelche Positionspapiere des Nationalen Sicherheitsrats“, betonte der frühere Spitzenagent. „Über diese Hürde sind die längst hinweg. Es geht nicht mehr darum, ob sie irgendetwas gegen Iran unternehmen. Sie werden es tun.“ (Hersh in: Der Spiegel 4/2005) Scott Ritter, ehemaliger Irak-UN-Beauftragter, will von der dezidierten Absicht der USA wissen, Iran durch eine Resolution im UN-Sicherheitsrat verpflichten zu wollen, der IAEA sowohl die Kontrolle seiner nuklearen wie auch aller militärischen Einrichtungen zu jedem Zeitpunkt und ohne Voranmeldung zu erlauben. Da jedoch der Iran - wie vorauszusehen ist - eine derart weitreichende Resolution als Angriff auf die eigene Souveränität auffassen und daher zurückweisen würde, fühlte sich die US-Regierung hinreichend legitimiert, mit oder auch ohne Zustimmung des Sicherheitsrates gegen den Iran Krieg zu führen und z. B. Irans nukleare und militärische Anlagen aus der Luft zu bombardieren.

Daniel Ellsberg, der durch die Veröffentlichung von Geheimdokumenten des Pentagons zum Vietnamkrieg zum vorzeitigen Ende des Krieges beitrug, hält es für wahrscheinlich, dass die US-Regierung einen Luftkrieg gegen den Iran unternehmen wird, und zwar zu einer Zeit, die ihr politisch geeignet erscheint. Glaubte man den Aussagen in dem Unternehmenskreisen nahestehenden Magazin „Vertrauliche Mitteilungen aus Politik, Wirtschaft und Geldanlage“, dann hätten US-Unterhändler bereits im Oktober 2005 mit den Vertretern wichtiger Industrienationen und internationaler Finanzinstitutionen Stützungsmaßnahmen für Börsen- und Währungskurse vereinbart, die im Falle eines Krieges gegen den Iran ergriffen werden sollten. Dabei ginge es vor allem darum zu verhindern, dass der US-Dollar seine Funktion als Öl-Leitwährung verliert. "Die Gesprächsteilnehmer wurden instruiert, dass das Eingreifen der USA im März 2006 erforderlich werden könnte. Die Planungen gehen offenbar von einem möglichen Angriff zu diesem Termin aus."

Indizien für eine Art psychologische Kriegsvorbereitung erhärten die Annahme ernsthafter Kriegsabsichten der Vereinigten Staaten. Dazu gehört die systematische Stigmatisierung Irans als unglaubwürdige Konfliktpartei. Die in den neunziger Jahren begangenen Rechtsbrüche werden immer wieder aufgefrischt, obwohl Irans Atomanlagen inzwischen zu den weltweit bestkontrollierten Anlagen gehören. Zu beobachten sind auch die systematischen „Enthüllungen“, die das Unglaubwürdikeitsstigma festigen sollen. Im November 2005 wurde die Meldung der Entdeckung eines Laptops mit geheimen Details lanciert. Tatsächlich liegt dieser Laptop dem CIA aber bereits seit einem Jahr vor und enthält keineswegs derart hochstilisierte Geheiminformationen. Ein fünfseitiges Dokument mit Zeichnungen zum Bau von Atombomben wurde ebenfalls im November als neue Enthüllung deklariert. Tatsächlich hatte aber der Iran selbst dieses Dokument der IAEA übergeben. Besonders gravierend ist die Umkehrung der Beweislast für den Iran, keine Absicht zum Bau von Atombomben zu hegen. Da jegliche iranische Beteuerung in Zweifel gezogen werden kann, dürfte der Iran immer auf der Anklagebank sitzen. Zu den psychologischen Kriegsvorbereitungen gehören auch die periodisch aufgestellten Behauptungen, der Iran sei für das Chaos im Irak mitverantwortlich, weil er die Terroristen unterstütze und mit der Al Kaida zusammenarbeite.

5. Über die Rolle der EU und Alternativen zu einem neuen Krieg

Die EU-Diplomatie scheiterte nicht nur an Teheran, sondern auch an Washington. Durch die Ablehnung jedweder, für Iran unverzichtbarer Sicherheitsgarantien hatte Washington die EU-Diplomatie in der Hand und ließ sie mit der Absicht, den Fall vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen und selbst den weiteren Ablauf in die Hand zu nehmen, scheitern. Den EU-Drei Deutschland, England und Frankreich bleibt jetzt - sofern sie sich aus der Iran-Falle der USA nicht herauslösen - keine andere Wahl, als der US-Taktik im Sicherheitsrat zu folgen und schließlich auch einen Luftkrieg der USA moralisch zu legitimieren. Auch Russland, das sich bisher gegen eine mögliche Resolution des Sicherheitsrates gewandt hat, droht angesichts eines voraussehbaren Scheiterns seiner Initiative das gleiche Schicksal wie der EU, der US-Eskalationsstrategie nichts mehr entgegensetzen zu können.

Mögliche Alternativen zu einem drohenden Krieg sind allesamt komplex und erscheinen sogar mehr oder weniger als utopisch. Aber es gibt sie und es kommt darauf an, sie von der visionären auf eine politisch-praktische Ebene zu bringen:

Erstens die multilaterale Kontrolle sämtlicher Atomanlagen in Industrie- und Entwicklungsländern entsprechend des Vorschlags von El Baradei, und damit die völkerrechtliche Gleichstellung aller Staaten. Dieser Weg wäre konsequent und auch ein entscheidender Schritt in Richtung einer weltweiten Abrüstung von Atomwaffen. Allerdings muss damit gerechnet werden, dass kein Atomwaffenstaat sich darauf einlassen wird, und dass damit dieser Weg vorerst keine Antwort auf den Atomkonflikt mit Iran liefert.

Zweitens die multilaterale Kontrolle der Urananreicherungsanlagen Irans und auch anderer Schwellenländer mit einem Atomprogramm auf internationalem Boden, wie vom SIPRI vorgeschlagen worden ist. Auf eine derartige Möglichkeit würden sich der Iran und auch andere Länder nicht einlassen, da sie letztlich dazu führen würde, zwei Klassen von Staaten mit unterschiedlichen Rechten zu schaffen. Die Abhängigkeit vom Ausland bliebe bei dieser Alternative bestehen, eine objektive Sicherheitsgarantie für die dauerhafte Lieferung von nuklearen Brennstäben könnte die UN letztlich nur im Falle eines UN-Gewaltmonopols geben. Andernfalls besteht immer die Möglichkeit, dass die USA oder andere Staaten die Brennstofflieferung militärisch verhindern. Zudem macht dieser Vorschlag den Weg für eine flächendeckende Weiterverbreitung von Atomkraftwerken in den Entwicklungsländern frei. Darüber hinaus gibt dieser Weg keine Antwort auf Irans Sicherheitsdilemma und die Abrüstung im Nahen und Mittleren Osten.

Drittens der Vorstoß zu konkreten Schritten für ein System der gemeinsamen Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten analog zum KSZE-Prozess mit dem Ziel der Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in der gesamten Region. Dies ist zwar auch kein einfacher Weg, aber er verspricht größere Realisierungschancen und ist gleichzeitig auch eine zukunftsfähige Antwort auf viele andere grenzüberschreitende Konfliktfelder, wie z.B. territoriale Streitigkeiten, ethnische Konflikte, grenzüberschreitende Nutzung von Energiequellen und Gewässern etc. Die USA werden sicherlich über einen derartigen Vorstoß nicht gerade glücklich sein. Dagegen ist die Perspektive eines befriedeten Mittleren und Nahen Ostens für Europa in vieler Hinsicht von existenzieller Bedeutung. Auch Russland und China hätten keinen konkreten Anlass dagegen zu sein und dürften einen Vorstoß in diese Richtung wahrscheinlich unterstützen. Die EU ist die einzige politische und moralische Kraft, mit diesem Vorschlag aufzuwarten und ihn mit konkreten Schritten zu koppeln. Dazu gehört die Einberufung einer baldigen regionalen Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit, die seriös vorbereitet und demnächst durchgeführt werden müsste. Damit wird nicht zuletzt Iran signalisiert, sein Sicherheitsdilemma ernst zu nehmen, so dass auch der Iran sich aller Wahrscheinlichkeit nach bis auf Weiteres zu einem Verzicht auf Urananreicherung bereit erklären könnte. Dieser Vorstoß müsste, um innerhalb von Europa akzeptanzfähig zu sein und auch Israels vermutlich massive Gegnerschaft abzumildern, mit konkreten Vorschlägen sowie unzweifelhaften und objektiven Sicherheitsgarantien für die Existenz Israels z.B. durch die USA und die EU gekoppelt sein. Die EU sollte dem Iran gleichzeitig auch den Vorschlag unterbreiten, ihm regenerative Energietechnologien zu liefern und das Land bei der Etablierung eines zukunftsfähigen und umweltfreundlichen zweiten Standbeins zur Energieversorgung zu unterstützen. Dieser Weg öffnet immerhin ein neues Fenster des Friedens und setzt mit der Perspektive zur Schaffung einer Organisation der regionalen Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten (OSZMNO) einen Prozess in Gang, dem sich auf Dauer kein Staat der Region, weder der Iran noch Israel, wird verschließen können.

* Professor für Politik und Wirtschaft am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück mit den Forschungsschwerpunkten Mittlerer und Naher Osten, Energie, Friedens- und Konfliktforschung, Nord-Süd-Konflikt.

* Vortrag beim 12. Friedenspolitischen Ratschlag, 3./4. Dezember 2005, Universität Kassel. Wir haben bei der Wiedergabe des Manuskripts auf den Anmerkungsapparat verzichtet. Der vollständige Text wird in dem "Ratschlags-Buch" veröffentlicht, das in der ersten Jahreshältfte 2006 erscheinen soll ("Neue Kriege in Sicht").

 

Der Krieg gegen den Iran hat längst begonnen

"Israel von der Landkarte löschen" - Über die angeblichen Äußerungen des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad

Über den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad ist viel geschrieben und polemisiert worden. Die Äußerungen, die er im Herbst letzten Jahres im Zusammenhang mit Israel oder dem Holocaust gemacht hat, waren unerträglich. - Das ist Konsens - in der Friedensforschung, in der Friedensbewegung, in der politischen Klasse. Doch was ist, wenn es sich bei den hier zu Lande kolportierten Zitaten und Zitatbruchstücken um Vereinfachungen, Verzerrungen, ja: Verfälschungen handelt?
Nun, damit wird Ahmadinedschad noch lange nicht zum Demokraten. Und die in Teheran herrschende Verbindung von Politik und Religion muss deswegen auch nicht gleich für gut befunden werden. Und massive Menschenrechtsverletzungen, kürzlich wieder demonstriert beim Polizeieinsatz gegen Streikende, bleiben weiterhin ein Stein des Anstoßes und der berechtigten Kritik unsererseits. All das rechtfertigt aber keine Kriegsdrohungen und Kriegsvorbereitungen gegen einen souveränen Staat.

Im Folgenden dokumentieren wir eine medienkritische Analyse der "Arbeiterfotografie", die unter Bezugnahme auf eine Veröffentlichung der ganzen Rede von Ahmadinedschad in der New York Times zeigt, welche Metamorphosen die Äußerungen des iranischen Präsidenten bei ihrem Weg in die westlichen Wohnzimmer durchgemacht haben. Mag die Darstellung dazu beitragen, die kritische Distanz unserer Leserinnen und Leser zu den Medien zu schärfen.

Von Anneliese Fikenscher und Andreas Neumann

Israel dem Erdboden gleichmachen, zerschlagen, vernichten, zerstören, tilgen, ausradieren, von der Landkarte löschen - das habe der iranische Präsident gefordert - lesen oder hören wir Ende Oktober 2005 in der 'taz', in der 'Berliner Zeitung', der 'Welt', im 'stern', im 'Spiegel', in der 'Zeit', in der F.A.Z., der Frankfurter Rundschau, beim ZDF, in der Tagesschau und bei N24 - um nur einige zu nennen. Das, was hier verbreitet worden ist, hat gewirkt. Eine Kriegserklärung des Iran an Israel sei das. Man ist sich in den Medien offensichtlich einig in der Empörung. Sie geht rund um die Welt. Aber lesen wir genauer, was der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad gesagt hat. Es ist das Verdienst der 'New York Times', uns die Rede komplett zur Verfügung zu stellen. Hier ein Auszug der Veröffentlichung vom 30.10.2005:

"They say it is not possible to have a world without the United States and Zionism. But you know that this is a possible goal and slogan. Let’s take a step back. [[[ We had a hostile regime in this country which was undemocratic, armed to the teeth and, with SAVAK, its security apparatus of SAVAK [the intelligence bureau of the Shah of Iran’s government] watched everyone. An environment of terror existed.]]] When our dear Imam [Ayatollah Ruhollah Khomeini, the founder the Iranian revolution] said that the regime must be removed, many of those who claimed to be politically well-informed said it was not possible. All the corrupt governments were in support of the regime when Imam Khomeini started his movement. [[[ All the Western and Eastern countries supported the regime even after the massacre of September 7 [1978] ]]] and said the removal of the regime was not possible. But our people resisted and it is 27 years now that we have survived without a regime dependant on the United States. The tyranny of the East and the West over the world must should end, but weak people who can see only what lies in front of them cannot believe this. Who could believe that one day we could witness the collapse of the Eastern Empire? But we have seen its fall during our lives and it collapsed in such a way that we have to refer to libraries because no trace of it is left. Imam [Khomeini] said Saddam must go and he said he would grow weaker than anyone could imagine. Now you see the man who spoke with such arrogance ten years ago that one would have thought he was immortal, is being tried in his own country in handcuffs and shackles [[[ by those who he believed supported him and with whose backing he committed his crimes ]]]. Our dear Imam said that the occupying regime must be wiped off the map and this was a very wise statement. We cannot compromise over the issue of Palestine. Is it possible to create a new front in the heart of an old front. This would be a defeat and whoever accepts the legitimacy of this regime [Israel] has in fact, signed the defeat of the Islamic world. Our dear Imam targeted the heart of the world oppressor in his struggle, meaning the occupying regime. I have no doubt that the new wave that has started in Palestine, and we witness it in the Islamic world too, will eliminate this disgraceful stain from the Islamic world."

(Quelle: www.nytimes.com, Einschübe in eckigen Klammern von der New York Times; Passagen in dreifach eckigen Klammern fehlen in der weiter unten wiedergegebenen MEMRI-Fassung)

Einige Sätze davon in deutscher Übersetzung: "Man sagt, eine Welt ohne USA und Zionismus sei nicht möglich. Aber Sie wissen, daß das ein mögliches Ziel und eine mögliche Losung ist. [...] Unser lieber Imam sagte, das Besatzungsregime müsse von der Karte gefegt werden. Und das war eine sehr weise Äußerung. Wir können mit dem Thema Palästina keine Kompromisse machen. [...] Unser lieber Imam zielte auf das Herzstück des Weltunterdrückers in seinem Kampf und meinte damit das Besatzungsregime. Ich habe keinen Zweifel, daß die neue Bewegung, die in Palästina begonnen hat - und wir nehmen das auch in der islamischen Welt wahr - den Schandfleck aus der islamischen Welt enfernen wird."

Es wird klar. Die Äußerungen des iranischen Präsidenten sind in den Medien manipuliert wiedergegeben. Irans Präsident bezeichnet die Beseitigung der 'Regime', die in Israel und den USA an der Macht sind, als mögliches Ziel. Das ist richtig. Aber nirgends fordert er die Beseitigung oder Auslöschung Israels. Er macht deutlich, daß Veränderungen möglich sind. Das von den USA gestützte Schah-Regime in seinem eigenen Land wurde überwunden. Das östliche Herrschaftssystem der Sowjetunion kollabierte. Die Herrschaft Saddam Husseins ging zu Ende. Und so gibt er der Hoffnung Ausdruck, daß auch in Israel bzw. Palästina Veränderungen möglich sein werden. Ayatollah Khomeini zitiert er unter Bezugnahme auf das Schah-Regime, der in diesem Zusammenhang davon gesprochen habe, das Regime (also das Schah-Regime) müsse beseitigt werden.

Gewiss, Ahmadinedschad überträgt diese Äußerung hinsichtlich eines Regierungswechsels auch auf das besetzte Palästina. Das muß erlaubt sein. Sich in einem Land andere Verhältnisse zu wünschen, ist weltweit durchaus an der Tagesordnung. Aber aus der Forderung nach Beseitigung eines 'Regimes' die Forderung nach Beseitigung eines Staates zu konstruieren, ist grobe Irreführung. Das ist gefährliche Demagogie. Das ist Teil des Krieges gegen den Iran, der mit den Worten von Georg Meggle, Professor für Philosophie an der Universität Leipzig, bereits begonnen hat - nämlich mit der möglicherweise wichtigsten, der vorbereitenden Propaganda-Phase.

Nur am Rande sei bemerkt, daß es der damalige stellvertretende Verteidigungsminister der USA und heutige Präsident der Weltbank, Paul D. Wolfowitz, war, der im September 2001 öffentlich ohne jede Scheu vom Auslöschen von Staaten sprach. Und es war Bush Vater, der vom gewinnbaren Atomkrieg sprach, wenn nur das Überleben einer Elite gesichert ist.

Greifen wir ein Beispiel heraus. tagesschau.de schreibt am 27.10.2005 über Irans Präsidenten: "Er zitierte den iranischen Revolutionsführer Ayatollah Khomeini: 'Wie schon der Imam sagte, muss Israel von der Landkarte getilgt werden.'" Das ist eindeutig - und wir müssen befürchten bewußt - falsch wiedergegeben. Die beiden Stellen im Text des iranischen Präsidenten mit Bezug auf Ayatollah Khomeini lauten: "When our dear Imam said that the regime [Schah-Regime] must be removed, many of those who claimed to be politically well-informed said it was not possible." Und: "Our dear Imam said that the occupying regime must be wiped off the map and this was a very wise statement." In deutscher Übersetzung: "Als unser lieber Imam sagte, das [Schah-]Regime müsse beseitigt werden, sagten viele von denen, die sich für politisch gut informiert hielten, das das nicht möglich sei." Und: "Unser lieber Imam sagte, das Besatzungsregime müsse von der Karte gefegt werden. Und das war eine sehr weise Äußerung." Nirgends nehmen diese Äußerungen Bezug auf Israel. Und wenn es zulässig sein sollte, einen solchen Bezug hinein zu interpretieren, bleibt es eindeutig unzulässig zu suggerieren, die Äußerungen hätten sich nicht auf das 'Regime', das die Palästinenser-Gebiete besetzt hält, sondern auf die Existenz des Staates Israel bezogen.

Eine andere Manipulation ist es, wenn tageschau.de schreibt: "Es gibt keinen Zweifel: Die neue Anschlagswelle in Palästina wird das Stigma im Antlitz der islamischen Welt ausradieren." Dort, wo das Wort 'wave' steht, lesen wir bei tagesschau.de 'Anschlagswelle'. 'Das Wort 'wave' mit 'Anschlagswelle' wiederzugeben, ist Desinformation. Korrekt könnte es heißen: "Die neue Bewegung in Palästina wird den Schandfleck aus der islamischen Welt enfernen." Auch diese Äußerung bezieht sich auf das - im vorangegangenen Satz benannte - Besatzungsregime.

Betrachten wir den Redetext zur Sicherheit noch in einer weiteren Übersetzung - in einer Fassung des in Washington ansässigen Middle East Media Research Institute (MEMRI):

"They [ask]: 'Is it possible for us to witness a world without America and Zionism?' But you had best know that this slogan and this goal are attainable, and surely can be achieved. [[[...]]] "'When the dear Imam [Khomeini] said that [the Shah's] regime must go, and that we demand a world without dependent governments, many people who claimed to have political and other knowledge [asked], 'Is it possible [that the Shah's regime can be toppled]?' That day, when Imam [Khomeini] began his movement, all the powers supported [the Shah's] corrupt regime [[[...]]] and said it was not possible. However, our nation stood firm, and by now we have, for 27 years, been living without a government dependent on America. Imam [Khomeni] said: 'The rule of the East [U.S.S.R.] and of the West [U.S.] should be ended.' But the weak people who saw only the tiny world near them did not believe it. Nobody believed that we would one day witness the collapse of the Eastern Imperialism [i.e. the U.S.S.R], and said it was an iron regime. But in our short lifetime we have witnessed how this regime collapsed in such a way that we must look for it in libraries, and we can find no literature about it. Imam [Khomeini] said that Saddam [Hussein] must go, and that he would be humiliated in a way that was unprecedented. And what do you see today? A man who, 10 years ago, spoke as proudly as if he would live for eternity is today chained by the feet, and is now being tried in his own country [[[...]]] Imam [Khomeini] said: 'This regime that is occupying Qods [Jerusalem] must be eliminated from the pages of history.' This sentence is very wise. The issue of Palestine is not an issue on which we can compromise. Is it possible that an [Islamic] front allows another front [i.e. country] to arise in its [own] heart? This means defeat, and he who accepts the existence of this regime [i.e. Israel] in fact signs the defeat of the Islamic world. In his battle against the World of Arrogance, our dear Imam [Khomeini] set the regime occupying Qods [Jerusalem] as the target of his fight. I do not doubt that the new wave which has begun in our dear Palestine and which today we are also witnessing in the Islamic world is a wave of morality which has spread all over the Islamic world. Very soon, this stain of disgrace [i.e. Israel] will vanish from the center of the Islamic world - and this is attainable."
(Quelle: http://memri.org, Einschübe in einfachen eckigen Klammern von MEMRI, Auslassungen gegenüber der 'New York Times' in dreifach eckigen Klammern)

Hier kommt das Wort 'Karte' bzw. 'Landkarte', auf das die Medien so breit Bezug nehmen, gar nicht vor. Während es in der 'New York Times' geheißen hatte: "Our dear Imam said that the occupying regime must be wiped off the map" heißt es hier in der Fassung von MEMRI: "Imam [Khomeini] said: This regime that is occupying Qods [Jerusalem] must be eliminated from the pages of history." Auf deutsch: "Imam sagte: Dieses Regime, das Jerusalem besetzt hält, muß von den Seiten der Geschichte entfernt werden."

MEMRI stellt der Übersetzung - gewissermaßen als Titel - folgende Formulierung voran: "Very Soon, This Stain of Disgrace [i.e. Israel] Will Be Purged From the Center of the Islamic World – and This is Attainable", reißt sie damit aus ihrem Zusammenhang und gibt ihr mittels der Einfügung 'i.e. Israel' den beabsichtigten verfälschenden Sinn. Ansonsten fällt auf, daß MEMRI diejenigen Passagen aus der Übersetzung beseitigt hat, die das von den USA gestützte Schah-Regime als Terror-System charakterisieren und damit gleichzeitig den Charakter der US-amerikanischen Politik erkennbar werden lassen.

In Kürze seien hier noch zwei weitere Fälle von Mitte Dezember 2005 thematisiert: Der iranische Präsident wird - hier als Beispiel tagesschau.de vom 14.12.2005 - wie folgt wiedergegeben: "der Staat Israel solle in eine andere Weltgegend verlegt werden, etwa 'nach Europa, in die USA, nach Kanada oder Alaska'". Laut CNN vom 15.12.2005 lautet das Zitat aber wie folgt: "If you have burned the Jews, why don't you give a piece of Europe, the United States, Canada or Alaska to Israel. Our question is, if you have committed this huge crime, why should the innocent nation of Palestine pay for this crime?" In deutscher Übersetzung: "Wenn Ihr die Juden verbrannt habt, warum stellt Ihr dann nicht ein Stück von Europa, der USA, Kanadas oder Alaskas für Israel zur Verfügung. Unsere Frage ist: wenn ihr dieses gewaltige Verbrechen begangen habt, warum soll dann die unschuldige Nation von Palästina für dieses Verbrechen bezahlen?" Zwischen diesem rhetorischen Gedankenspiel und der Forderung nach Verlegung besteht ein essentieller Unterschied.

Gleichzeitig ist dieses Zitat ein Beleg dafür, daß er den Holocaust - wie vielfach behauptet - keineswegs leugnet. Im Gegenteil: er bezeichnet das, was mit den Juden geschehen ist, als gewaltiges Verbrechen. Bei tagesschau.de vom 14.12.2005 dagegen lesen wir: "Der 'Mythos vom Massaker an den Juden' werde in den westlichen Staaten 'höher gestellt als Gott, die Religionen und die Propheten'." Oder an anderer Stelle: "Mahmud Ahmadinedschad bezeichnete den Holocaust als 'Mythos'." Bei N24 am 14.12.2005 lautet das Zitat dagegen: "Sie haben im Namen des Holocaust einen Mythos geschaffen und schätzen diesen höher als Gott, die Religion und die Propheten". Auch hier besteht ein essentieller Unterschied. Was er laut N24 sagt, ist durchaus nachvollziehbar. Es kann nicht angehen, Verbrechen, die gegen das palästinensische Volk begangen werden, zu übersehen, weil es ein anderes Verbrechen, das gegen Juden begangen worden ist, gegeben hat. Die Nachkommen der Opfer dürfen in keinem Rechtssystem ungestraft zum Täter werden.

Eine Reuters-Meldung vom 21.2.2006 bestätigt: "Der iranische Außenminister Manuchehr Mottaki hat [...] dementiert, dass sein Land den jüdischen Staat Israel 'von der Landkarte tilgen' wolle. [...] Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad sei falsch verstanden worden. 'Niemand kann ein Land von der Landkarte entfernen.' Ahmadinedschad habe nicht den Staat Israel sondern das dortige Regime gemeint [...]. 'Wir erkennen dieses Regime nicht als rechtmäßig an.' [...] Mottaki erkannte auch an, dass es den Holocaust gegeben hat, bei dem während des Nationalsozialismus sechs Millionen Juden ermordet worden waren."
Die Formulierungen der Meldung sind zwar irritierend. Es kann nicht dementiert werden, was gar nicht gesagt worden ist. Und die Meldung hat bei weitem nicht den Verbreitungsgrad wie die mit der Falschinformation. Aber trotzdem ist die Meldung bemerkenswert.

Der iranische Außenminister Manuchehr Mottaki zum Holocaust: Der iranische Außenminister Manuchehr Mottaki hat dementiert, dass sein Land den jüdischen Staat Israel "von der Landkarte tilgen" wolle. Er sagte am 20. Feb. vor Journalisten in Brüssel, Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad sei falsch verstanden worden. "Niemand kann ein Land von der Landkarte entfernen." Ahmadinedschad habe nicht den Staat Israel sondern das dortige Regime gemeint. "Wir erkennen dieses Regime nicht als rechtmäßig an." Mottaki erkannte auch an, dass es den Holocaust gegeben hat, bei dem während des Nationalsozialismus sechs Millionen Juden ermordet worden waren. Ahmadinedschad hatte den Holocaust im Dezember noch als einen Mythos bezeichnet. Vor dem Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlaments sagte Mottaki einem Übersetzer zufolge: "Unsere Freunde in Europa unterstreichen, das solch ein Verbrechen stattgefunden hat. Und sie haben bestimmte Opferzahlen genannt. Wir bestreiten das nicht. Was wir hier aber sagen ist, warum sollen die Moslems einen Preis dafür bezahlen, dass dieses schreckliche Ereignis wieder gut gemacht wird?" (Quelle: Focus, 21. Feb.)

Der nächste Schritt ist, den iranischen Präsidenten mit Hitler in Verbindung zu bringen. Am 20.2.2006 sagt der Vorsitzende des Rates der Juden in Frankreich (Crif) in Paris: "Die Erklärungen des iranischen Präsidenten stehen Hitlers 'Mein Kampf' in nichts nach". Paul Spiegel, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, bezeichnet die Äußerungen Mahmud Ahmadinedschads in der 'Welt' vom 10.12.2005 als "das Schlimmste, was ich in dieser Hinsicht von einem Staatsmann gehört habe seit Adolf Hitler". Und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel rückt den iranischen Präsidenten in die Nähe zu Hitler und Nationalsozialismus, indem sie am 4.2.2006 in München sagt: "Anfang der 30er Jahre haben auch viele gesagt, das ist nur Rhetorik. Man hätte rechtzeitig vieles verhindern können, wenn man gehandelt hätte... Wir haben uns in Deutschland verpflichtet, den Anfängen zu wehren und alles daran zu setzen, um deutlich zu machen, was geht und was nicht geht. Iran hat es selbst in der Hand."

Das alles deutet auf Krieg. Slobodan Milosevic wurde zu Hitler. Es folgte der Krieg der Nato gegen Jugoslawien. Saddam Hussein wurde zu Hitler. Es folgte der Krieg der USA und ihrer Koalition der Willigen gegen den Irak. Jetzt wird der iranische Präsident zu Hitler.

Und jemand wie Hitler kann hundertmal versichern, die Kernenergie friedlich nutzen zu wollen. Ihm wird nicht geglaubt. Jemand wie Hitler kann im Rahmen aller Verträge agieren. Ihm wird trotzdem vertragswidriges Handeln unterstellt. "Praktisch völlig übersehen wird im Westen, dass Anreicherung absolut legal ist. Kein Vertrag, kein Völkerrecht verbietet das. Im Gegenteil: Der Westen ist eigentlich verpflichtet, Iran dabei sogar zu helfen. So sieht es der Atomwaffensperrvertrag vor. Solange ein Land auf die Bombe verzichtet, hat es Anspruch auf technische Hilfe der Atommächte." (Jörg Pfuhl vom ARD-Hörfunkstudio Istanbul am 11.01.2006) Nur - das alles zählt nicht, wenn das Oberhaupt eines Staates als Hitler stigmatisiert ist.

Original-Quelle der Rede des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad vom 26.10.2005 auf persisch: Iranian Students News Agency (ISNA), www.isna.ir.

Und hier noch einige Zitate aus der deutschen Medienlandschaft von Ende Oktober 2005:

Der Staat Israel solle dem Erdboden gleichgemacht werden - Aufruf des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad zur Vernichtung Israels (taz) - Kriegserklärung gegen den jüdischen Staat - Irans Präsident fordert die Vernichtung Israels (Berliner Zeitung) - Irans Präsident fordert Zerstörung Israels (netzzeitung.de) - Mit Empörung hat die internationale Gemeinschaft auf den Aufruf des neuen iranischen Präsidenten zur Vernichtung Israels reagiert - Irans Präsident will den jüdischen Staat 'von der Landkarte tilgen' (Die Welt) - Irans Präsident will Israel von der Landkarte tilgen - Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat zur Zerstörung Israels aufgerufen (Der Spiegel) - Irans neuer Staatschef: Israel 'von Landkarte radieren' (Focus) - Iran 'Von der Landkarte tilgen' - Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat am Mittwoch zur Zerstörung Israels aufgerufen (Die Zeit) - Iran Präsident fordert Zerstörung Israels - Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat dazu aufgerufen, Israel von der Landkarte zu tilgen (Stern) - Irans Präsident verlangt die 'Tilgung Israels' (Hamburger Abendblatt) - Vernichtung Israels befürwortet (Handelsblatt) - Iran schürt Nahost-Konflikt: 'Israel zerstören' (N24) - Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat öffentlich gefordert, Israel von der Landkarte zu löschen (ZDF heute) - 'Von der Landkarte tilgen' - Irans Präsident fordert Vernichtung Israels - Ahmadinedschad: 'Schandfleck Israel tilgen' (tagesschau.de) - Aufruf zur Zerstörung Israels - Irans Präsident: Von der Karte tilgen (Rheinischer Merkur) - Irans Präsident will Israel zerstören - Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinejad hat gefordert, Israel von der Landkarte zu löschen - Es ist das erste Mal seit Jahren, dass ein ranghoher iranischer Politiker öffentlich die Zerschlagung Israels verlangt (tagesanzeiger.ch) - Irans Präsident kündigt die Zerstörung Israels an - Irans Präsident Mahmoud Ahmadinejad hat am Mittwoch zur Zerstörung Israels aufgerufen (hagalil.com) - Iran: 'Israel wird ausradiert' (F.A.Z.) - Irans Präsident droht Israel Vernichtung an (Frankfurter Rundschau)

Es ist haarsträubend. Die Gleichsetzung von 'Regime' und Existenz eines Staat ist - es lässt sich beim besten Willen nicht anders bezeichnen - undifferenzierte Propaganda. Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem deutschsprachigen Teil der weltweiten Kampagne gegen den Iranischen Präsidenten.