Gastkolumne im "Neuen Deutschland" vom 31. August 2002

>Deutscher Weg< heißt: Kein Krieg

Von Dieter S. Lutz

Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg

 

US-Präsident George W. Bush lässt seine Streitkräfte gegenwärtig einen Krieg gegen den Irak vorbereiten. Die Frage - so heißt es - ist nicht mehr ob der Militärschlag stattfindet, sondern wann und wie. Als Ziel des Angriffskrieges wird der Sturz des irakischen Präsidenten Saddam Hussein und die Beseitigung seines Regimes genannt. Gerechtfertigt wird das Angriffsvorhaben mit dem Verdacht, der Irak könnte ABC-Waffen besitzen bzw. nach solchen Massenvernichtungsmitteln streben.

In den vergangenen Tagen haben sich Bundeskanzler Schröder und eine Reihe hochrangiger SPD-Politiker entschieden gegen eine Beteiligung Deutschlands an einem Angriff auf den Irak ausgesprochen. Der »Deutsche Weg« beinhalte zwar die »uneingeschränkte Solidarität« mit den USA, schließe aber »gefährliche Abenteuer« wie einen Präventivkrieg gegen den Irak definitiv aus.

Renommierte Völkerrechtler bezeichnen den geplanten Präventivschlag gegen Bagdad als eklatanten Bruch des geltenden Völkerrechts, der das gesamte System der kollektiven Sicherheit im Rahmen der Vereinten Nationen in Gefahr bringt. Es geht aber auch um verfassungsrechtliche Aspekte: Der vom Bundeskanzler zu Recht apostrophierte »Deutsche Weg« in Fragen von Krieg und Frieden ist ein von der Verfassung vorgegebener Weg - übrigens nicht nur und erst bei Angriffskriegen, die im Deckmantel von Verteidigung und Prävention daher kommen.

Erinnern wir uns: »Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen, und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten.« Mit dieser Lüge Hitlers hat das Deutsche Reich den Zweiten Weltkrieg begonnen. Angriff und Verteidigung sind Siegerdefinitionen. Das verbrecherische Nazi-Regime wusste dies für sich zu nutzen, als es am 1. September 1939 über Polen herfiel. Gleiches gilt für die Denkfigur des Präventivschlages. Hit1er und seine Schergen haben sie eingesetzt, um 1941 den Überfall auf die Sowjetunion zu rechtfertigen.

Natürlich stehen das demokratische Amerika und das verbrecherische Nazi-Regime nicht auf einer Ebene. Doch sind einige Parallelen in der Denk- und Argumentationsstruktur, mit denen der Präventivschlag gegen den Irak gerechtfertigt werden soll, zu ernst, als dass nicht vor der Gefahr eines Irrweges gewarnt werden müsste.

Für Deutschland jedenfalls gelten - verfassungsrechtlich unaufgebbar - jene Lehren fort, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gezogen wurden. Herzstück dieser Lehren ist eine Reihe bemerkenswerter Normen im Grundgesetz vom 23. Mai 1949. Sie formen in ihrer Gesamtheit als »Deutschen Weg« ein verfassungsrechtliches Friedensgebot.

Neben den vielfältigen Grundrechten gehören zu diesen Normen insbesondere Art. 24 Abs. 1 und 2 sowie Art. 26 Abs. 1 GG: Mit dem Art. 24 GG erklärt sich Deutschland nachdrücklich zu Beistandsleistungen im Rahmen kollektiver Sicherheit und zur Unterordnung unter einer internationalen Gerichtsbarkeit bereit. Und mit Art. 26 GG sollte der deutsche Irrweg in ein faschistisches System und eine verbrecherische Politik, die selbst vor Angriffskriegen, Massenmorden und Versklavungen nicht zurückschreckte, für alle Zeiten verschlossen werden: Niemals wieder sollten Deutsche einen Angriffskrieg auch nur vorbereiten (können). Entsprechend heißt es dort: »Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.«

Das Grundgesetz verbietet damit nicht nur die Vorbereitung eines Angriffskrieges, sondern jede beabsichtigte Handlung, die auch nur »geeignet« ist, einen Angriffskrieg »vorzubereiten«. Die verbotene Friedensstörung selbst braucht also noch nicht eingetreten zu sein, der Angriffskrieg noch nicht begonnen zu haben. Das Verbot der Friedensstörung und des Angriffskrieges ist bereits ein Verbot der abstrakten Friedensgefährdung.

Zusammenfassend heißt das: Wer willentlich den »Deutschen Weg« verlässt, wer sich als deutscher Politiker oder deutsche Politikerin für einen Präventivschlag jenseits der UN-Regeln der kollektiven Sicherheit ausspricht, handelt verfassungswidrig. Taten sind nicht einmal erforderlich. Bereits die Aufforderung oder Zustimmung, das bloße Wort also, genügt nicht nur in Wahlkampfzeiten!