Dr. Rolf Heinrich
Es gibt keinen gerechten Krieg, sondern nur einen gerechten Frieden
Rede-Beitrag auf der Kundgebung des Friedensforums Gelsenkirchen
15.2.2003
Warum ich Nein zum Irak sage und sagen muss.
Ich sage NEIN, weil ich aus der schmerzlichen Schuldgeschichte des Christentums und der Kirchen gelernt habe:
Glaubwürdig vom Frieden reden kann nur der, der die eigene Schuld nicht verschweigt, sondern sich zu ihr bekennt und sie aufarbeitet. Im Namen Gottes, auch des christlichen Gottes wurden und werden Kriege geführt. Die christliche Religion und die Kirchen haben in ihrer Geschichte oft genug Gewalt und Krieg gutgeheißen, Waffen gesegnet und für den Sieg gebetet. In dieser Tradition stehen der amerikanische Präsident und führende Politiker bis heute: Ein Teil Amerikas begreift sich als ein von Gott auserwähltes Volk, das seine Ideale über den ganzen Erdkreis ausbreiten muss. "Die Freiheit, die wir verteidigen, ist nicht Amerikas Geschenk an die Welt, sondern sie ist Gottes Geschenk an die Menschheit". Bush glaubt wirklich, dass der Krieg, den er befiehlt, ein heiliger ist. Geheiligt durch überirdische Werte, für die er geführt wird. Deshalb kann er die Welt einteilen in Gut und Böse und dieser Einteilung kann niemand ernsthaft widersprechen, ohne zum Feind Amerikas erklärt zu werden. Die scheinbar religiöse Legitimation wirtschaftlicher und politischer Interessen macht das Handeln Bushs so gefährlich. Aber heilig kann niemals ein Krieg und das Morden und Hinschlachten von Menschen sein, sondern nur das Leben und der Schutz des Lebens. Und: Die Welt besteht nicht einfach aus Gut und Böse, sondern aus Menschen, die beides zugleich sein können und sind.
Es scheint so, als hätten die christlichen Kirchen aus ihrem Versagen und ihrer Schuld gelernt: Die beiden christlichen Kirchen in Deutschland sagen Nein zum Krieg. Der Papst erklärt: Ja zum Leben, Nein zum Tod, Nein zum Egoismus und Nein zum Krieg. Der amerikanische katholische Bischof Robert Bowman erklärt: Wir Amerikaner werden nicht gehasst, weil wir Demokratie ausüben, Freiheit schätzen oder die Menschenrechte unterstützen. Wir werden gehasst, weil die amerikanische Regierung diese Dinge den Menschen in den Dritte-Welt-Ländern versagt, deren Rohstoffe von unseren Großkonzernen begehrt werden. Der Hass, den wir säen, ist zurückgekommen, um uns in der Form des Terrorismus zu bedrohen. Anstatt unsere Söhne und Töchter um die Welt zu schicken, um Araber zu töten, damit wir das Öl, das unter deren Sand liegt, haben können, sollten wir sie senden, um deren Infrastruktur wieder in Stand zu setzen, reines Wasser zu liefern und hungernde Kinder zu füttern. Dies ist für mich die Stimme Amerikas.
In Amerika aber hört man Stimmen, die sagen, die Länder Europas, die gegen den Irak-Krieg sind, gehörten zum Alten Europa. Teile Amerikas aber fallen hinter die Aufklärung dieses Alten Europa zurück. Es ist eine Errungenschaft der Aufklärung des Alten Europa, dass der Einzelne nicht unhinterfragt kirchlicher, staatlicher oder wirtschaftlicher Macht folgt. Er bedient sich seines eigenen Verstandes und entscheidet selbst, was er für richtig und falsch hält. Politische Prozesse sollen im Sinne der Aufklärung durch öffentliches Abwägen der Chancen und Risiken dem Frieden angenähert werden.
Ich sage Nein zum Irak-Krieg, weil die Widersprüche, die ich hinter der Oberfläche der Parolen entdecke, mich nachdenklich machen:
Ich sage NEIN zum Irak-Krieg, weil Rüstung auch ohne Krieg tötet.
In der Bibel heißt es im Mt-Evangelium: Ihr müsst euch entscheiden, wem ihr dienen wollt: Gott oder dem Mammon, dem Gott des Friedens oder dem Gott des Geldes und des Goldenen Kalbes. Die Liebe zum Geld und die Habgier schicken weltweit zum Töten und Getötet - werden auf die Jagd. Der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano sagt meiner Überzeugung nach zu Recht, dass der weltweite Markt "ein allmächtiger Terrorist" ist, "der sich aufführt als wäre er Gott." Wirtschaft tötet: 1 Milliarde Menschen leiden an chronischem Hunger, die Wirtschaft boomt und der Lebensstandard sinkt.
Nur der kann einigermaßen glaubwürdig für den Frieden eintreten, der gleichzeitig gegen den Rüstungsexport ist, gegen die Herstellung, den Verkauf und das Verdienen mit Mordwerkzeugen. Das NEIN Deutschlands zum Irak-Krieg wird nur mit Leben gefüllt, wenn es die Produktion von Waffen und den Verdienst durch den weltweiten Waffenhandel öffentlich in Frage stellt!
Das Geld, das in anderthalb Monaten für Aufrüstung und Mordwerkzeug in Amerika ausgegeben wurde, würde ausreichen, um die ganze Welt zu ernähren.
Der US-Einsatz im Irak kostet nach Schätzungen 60 Milliarden bis zu 200 Milliarden US-Dollar. Diese Unsummen fehlen an anderen überlebenswichtigen Dingen im eigenen Land und in der Welt. Deutschland musste für den Golfkrieg 18 Milliarden Mark zahlen, das Vierfache des jährlichen Entwicklungshaushaltes. In welcher Welt leben wir: Für Gesundheit und Bildung, für Arbeit und Natur ist kein Geld da, aber für Krieg und Mordwerkzeug.
Gegen den Irak muss überhaupt kein Krieg mehr geführt werden, er tobt schon, seitdem es die Sanktionen gegen den Irak gibt. Kinder sterben wegen mangelnder medizinischer Versorgung, schlechtem Trinkwasser und Unterernährung. Von 1991-1998 sind durch die Sanktionen 500 000 Kinder unter fünf Jahren zu Tode gekommen, Das sind anonyme Zahlen, aber hinter jeder Zahl steht der ganz persönliche Name eines Kindes, der Wille und der Traum von einem menschenwürdigen Leben: Denn jedes Leben ist Leben, das leben will!
Ich sage NEIN zum Irak-Krieg, weil ich die Welt und die Gesellschaft aus der Sicht der Opfer sehe.
Aus der Sicht der unschuldigen Opfer kann es keinen gerechten Krieg geben.
Wir wissen nicht mehr, was es bedeutet, einen Mann, eine Frau, ein Kind zu töten. Kollateralschäden werden verharmlosend die Opfer genannt. Nicht gegen Zahlen, sondern gegen Menschen aus Fleisch und Blut, Väter, Mütter und Kinder wird gekämpft.
Ich sage NEIN zum Irak-Krieg, weil ich der Stimme des anderen Amerika vertraue.
"Not in our Name". 50 000 prominente Amerikaner haben eine Erklärung gegen den Irak-Krieg unterschrieben. "Der Krieg würde menschliches Leid verschlimmern, die Wahrscheinlichkeit von Terrorattacken erhöhen und unsere moralische Rolle in der Welt schwächen." "In was für einer Welt werden wir leben, wenn eine US-Regierung einen Blanko-Sacheck erhält, überall dort zu befehlen, zu töten und Bomben zu werfen, wo es ihr gefällt?" (FR 1.2.03, S.3).
Ich wünsche mir, dass wir nicht nur gegen den Krieg demonstrieren, sondern zugleich für einen gerechten Frieden arbeiten.
Es besteht ein tiefer und unaufhebbarer Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Frieden. In einer Welt, in der die meisten Menschen nicht über die Grundlagen für ein menschenwürdiges Leben verfügen, kann Frieden auf Dauer keinen Bestand haben. Das Leitbild eines gerechten Friedens beruht auf einer ganz einfachen Einsicht: Eine Welt, in der den meisten Menschen vorenthalten wird, was ein menschenwürdiges Leben ausmacht, ist nicht zukunftsfähig. Sie steckt auch dann noch voller Gewalt, wenn es keine Kriege gibt. Verhältnisse fortwährender schwerer Ungerechtigkeit sind in sich Gewalt geladen und gewaltträchtig. Daraus folgt positiv: Gerechtigkeit schafft Frieden.
Ich wünsche mir, dass wir all unsere Phantasie für einen gerechten Frieden und gegen den Krieg einsetzen.