Aus "jungeWelt" vom 8.8.2006:
Kriegsjunkies in Tel Aviv

Ehud Olmert und Amir Peretz sind die größte Gefahr für Israel

von Uri Avnery
Olmert
Gefährliche Karrieristen: Premier Olmert (r.) und sein Minister Peretz
Es war für mich ein erschreckender Augenblick, als es mir wie Schuppen von den Augen fiel. Ich hörte eine der täglichen Reden unseres Ministerpräsidenten. Er sagte: »Wir sind ein wunderbares Volk!« Er sagte: »Wir haben diesen Krieg schon gewonnen, es ist der größte Sieg in der Geschichte unseres Staates.« Und weiter: »Wir haben das Antlitz des Nahen Ostens verändert«. Und noch mehr in dieser Art.

Nun, sagte ich zu mir selbst, das ist eben Ehud Olmert.

Ich kenne ihn, seit er etwas über 20 Jahre alt war. Damals war ich Mitglied der Knesset, und Olmert war (buchstäblich) Aktenträger eines anderen Knesset-Mitgliedes. Seitdem habe ich seine Karriere verfolgt. Er war niemals mehr als ein Parteifunktionär, ein Schmalspurpolitiker, der sich auf Manipulationen spezialisierte, ein mittelmäßiger Demagoge. Zwischendurch wechselte er mehrfach die Parteien und diente als Bürgermeister von Jerusalem mit der Note »kaum genügend«, bis er sich der vielversprechenden Sache Ariel Scharons anschloß. Rein zufällig wurde ihm der leere Titel »Stellvertretender Ministerpräsident« verliehen. Und als Scharon seinen Schlaganfall erlitt, geschah etwas, worüber Olmert selbst sehr überrascht war: er wurde Ministerpräsident. Während seiner ganzen Karriere blieb er durch und durch Zyniker, an sich vom rechten Flügel, aber auch bereit, gegenüber Linken vorzutäuschen, er sei ein Liberaler .

Also – sagte ich zu mir – das wird eine weitere zynische Rede sein. Doch plötzlich kam mir ein entsetzlicher Gedanke: »Nein, der Mann glaubt tatsächlich, was er sagt!« Man kann es sich kaum vorstellen, aber anscheinend glaubt Olmert wirklich, dies sei ein erfolgreicher Krieg, den er gewinnen werde; er habe radikal die Situa­tion Israels verändert; er sei dabei, den Neuen Nahen Osten zu bauen; er sei ein historischer Führer und Ariel Scharon weit überlegen, (der ja immerhin im Libanon besiegt worden war und der der Hisbollah gestattete, ihr Raketenarsenal aufzubauen). Je länger es ihm erlaubt sei, mit diesem Krieg fortzufahren, um so mehr werde sein Ansehen bei zukünftigen Historikern wachsen.

Ehud Olmert hat offensichtlich jeglichen Kontakt mit der Realität verloren. Er lebt in einer selbstgeschaffenen Seifenblase. Seine Reden zeigen, daß er ein echtes Problem hat. Von allen Gefahren, denen Israel jetzt ausgesetzt ist, sind es diese, die man am ernstesten nehmen sollte. Denn dieser Mann entscheidet ganz einfach über das Schicksal von Millionen: wer sterben, wer Flüchtling, wessen Welt zerschmettert werden wird.

Aber Olmerts Problem mit dem Größenwahnsinn ist nichts im Vergleich zu dem, was mit Amir Peretz geschehen ist. Genau vor neun Monaten. nach der Wahl zum Vorsitzenden der Arbeitspartei, hielt Peretz in Tel Aviv auf dem Rabin-Platz eine Rede und verriet seinen Traum: Im Niemandsland zwischen Israel und dem Gazastreifen solle ein Fußballfeld gebaut werden, und ein Fußballspiel solle zwischen der israelischen Jugend von Sderot und der palästinensischen Jugend des nahen Bet Hanoun stattfinden. Ein israelischer Martin Luther King! Neun Monate später wurde uns ein Monster geboren.

Bei der Knesset-Wahlkampagne erschien Peretz wie ein sozialer Revolutionär. Er verkündigte, er wolle das Antlitz der israelischen Gesellschaft verändern, die nationalen Prioritäten neu festlegen, Milliarden Schekel des Militärbudgets der Bildung, Erziehung, Wohlfahrt zukommen lassen und dafür sorgen, daß die Kluft zwischen den Reichen und Armen kleiner werde. Als alter Friedensanhänger würde er natürlich Frieden mit den Palästinensern und der ganzen arabischen Welt anstreben. Dies ließ ihn die Stimmen vieler Bürger gewinnen, einschließlich vieler, die normalerweise nicht daran gedacht haben, jemals Arbeitspartei zu wählen.

Was dann folgte, ist Geschichte. Er verführte sich selbst, als Olmert ihm das Verteidigungsministerium anbot. Das war Olmert, der Zyniker. Er wußte – genau wie wir –, daß Peretz in eine Falle tappt, daß er als reiner Zivilist ohne ernsthafte militärische Erfahrungen zur leichten Beute der Generäle werden würde. Aber Peretz schrak nicht zurück. Das höchste Ziel seines Lebens ist, Ministerpräsident zu werden, und um ein glaubwürdiger Kandidat zu sein, glaubte er, er müsse sich selbst als Sicherheitsexperte präsentieren.

Seitdem ist Peretz zum Oberkriegstreiber geworden. Nicht nur, daß er alle Forderungen der Generäle unterstützt, nicht nur, daß er als ihr Sprecher fungiert – er hat auch mitgeholfen, Israel in den Krieg zu treiben. Seitdem fordert er, der Krieg solle fortgesetzt und ausgedehnt werden, es solle mehr getötet, mehr zerstört, mehr besetzt werden. Er erklärte selbst: »Nasrallah wird niemals den Namen Amir Peretz vergessen!« – wie ein verwöhntes Kind, das seinen Namen in eine Touristenattraktion einritzt.

Im Augenblick versucht er sogar, extremer als Olmert zu sein. Während der Ministerpräsident zögert, weiter zu gehen und um die zu vielen Todesfälle durch Raketen und durch Gefechte auf dem Boden besorgt ist, die ihm womöglich den Siegesglanz verdunkeln könnten, will Peretz den Litani-Fluß erreichen, was immer es auch kosten mag. Da gibt es keinen anderen Weg, falls man Ministerpräsident werden will: Man muß über Leichen gehen.

Übersetzung aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz