Rede des Linken Bundestagsabgeordneten Paul Schäfer auf der Demonstration gegen den Libanon-Krieg am 5. August 2006 in Düsseldorf

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

 

können Sie sich vorstellen, ca. 20 Mio. Menschen – also etwa ein knappes Viertel der Deutschen – wären hierzulande auf der Flucht, um einem gnadenlosen Bombenhagel zu entgehen? Nein, werden wohl die meisten sagen und sie haben Recht. Es ist nahezu unvorstellbar. Aber genau das ist die Lage heute im Libanon. Mindestens 800.000 Menschen sollen auf der Flucht sein, bei einer Gesamtbevölkerung von knapp vier Millionen Einwohnern.

 

Seit gestern ist das Land durch die Blockade der Häfen und die Zerstörung der letzten Autostraßenverbindung völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Man kann nur erahnen, wie schrecklich eine solche Lage für die Bewohner und Bewohnerinnen dieses Landes sein muss. Der Gipfel des Zynismus ist erreicht, wenn die israelische Luftwaffe zum Verlassen des Kriegsgebiets auffordert, aber zugleich die Auswege rigoros versperrt. Gerade für die bisher noch nicht mitgerechneten 400.000 palästinensischen Flüchtlinge, die z.T. schon seit Jahrzehnten hier leben müssen, gilt, dass sie sich in einer verzweifelten Lage befinden. Ihnen sitzt die Erinnerung an die Massaker von Shattila und Shaba noch in den Knochen und auch jetzt müssen sie wieder das Schlimmste befürchten. Alles in allem: Wir haben es mit einer humanitären Katastrophe zu tun und deshalb lautet das Gebot der Stunde: Waffenstillstand sofort!

 

Wir hören in unserem Land gebetsmühlenartig, Israel müsse sich verteidigen gegen die Raketenangriffe der Hizbollah. Aber was hat die Zerstörung eines Heizkraftwerks an der libanesischen Küste, die jetzt eine beispiellose ökologische Katastrophe im Mittelmeer angerichtet hat, mit den Katjusha-Raketen der Hizbollah zu tun? Was hat die Zerstörung von Lebensmittelfabriken im Libanon mit den Katjusha-Raketen zu tun? Was hat die Zerstörung von Wohnhäusern und damit verbunden die Tötung hunderter Zivilisten, nicht zuletzt vieler Kinder mit der Hizbollah zu tun? Wenn ein Vergleich erlaubt ist, Vergleiche hinken immer, so ist es, als wenn Sie von einem Nachbargrundstück mit Steinen beworfen werden, und Sie legen daraufhin das Nachbarhaus in Schutt und Asche.

 

Der Krieg, den Israel gegenwärtig führt, ist in jeder Hinsicht unverhältnismäßig. Aber es geht nicht nur darum, dass er in der Wahl der Mittel unangemessen ist.  Die Besetzung eines Teils des Landes, die Zerstörung der Infrastruktur des Libanons und die Tötung hunderter, wahrscheinlich sogar tausender unschuldiger Zivilisten, sind durch das Völkerrecht in keiner Weise gedeckt. Im Gegenteil: Es handelt sich um glatten Völkerrechtsbruch. Und um es noch genauer zu sagen: Israel führt einen Angriffskrieg, der nach allem was wir wissen, nicht zuletzt das Ziel hat, die libanesische Zivilbevölkerung und auch andere arabische Nachbarstaaten massiv einzuschüchtern.

 

Daher ist die UNO gefordert; der UN-Sicherheitsrat ist zuständig für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit. Er hätte längst eingreifen müssen, wie es auch Generalsekretär Kofi Annan vehement eingefordert hat. Es ist eine Schande, dass solche Staaten wie die USA und Großbritannien sich der Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand widersetzt haben und damit ihren Teil dazu beitragen, dass Völkerrechtsbruch nicht geahndet wird. Sie tragen ihren Teil dazu bei, dass durch diesen Krieg eine humanitäre Katastrophe ausgelöst worden ist.

 

Wir fordern von dieser Stelle aus ganz entschieden: Die Waffen müssen schweigen. Und zwar sofort.

 

Wir fordern, dass die Blockade der Häfen aufgehoben wird und humanitäre Korridore geöffnet werden, damit die Zivilbevölkerung ausreichend versorgt werden kann.

 

Während dieser Zeit können und müssen Verhandlungen beginnen, Verhandlungen, bei denen es nicht zuletzt um einen Gefangenaustausch gehen muss, aber natürlich auch um die Eindämmung der Gewalt an der libanesisch-israelischen Grenze. Das wird nicht gehen, ohne einen politischen Prozess anzustoßen, der einen dauerhaften und gerechten Frieden für den Nahen Osten bringen soll.

 

Wir hören heute in unseren Medien immer wieder, dass es um die Durchsetzung einer UN-Entschließung gehe, in der die libanesische Regierung zur Entwaffnung der Hizbollah-Milizen aufgefordert worden ist. Selbstverständlich kann und muss darüber geredet werden. Aber warum greift man sich gerade eine UNO-Resolution heraus, deren Umsetzung unterblieben ist? Warum redet man nicht über Resolutionen, wie die Resolution 242 des Sicherheitsrates, in denen Israel zum Rückzug aus den besetzten Gebieten aufgefordert wird?

 

Es wird wieder einmal, wie so oft wenn es um denn Palästina-Konflikt geht, mit zweierlei Maß gemessen. Ein anderes Beispiel: Geiselnahme ist durch nichts zu rechtfertigen und daher ist die Forderung, Menschen, die gekidnappt worden sind, sofort freizulassen, nur allzu begründet. Von den entführten israelischen Soldaten hören und lesen wir jetzt immer wieder. Ja, dies habe schließlich den Krieg ausgelöst. Aber was ist mit den sechs Ministern der demokratisch gewählten Regierung der Palästinenser, den zwanzig Abgeordneten, die Israel zuvor entführt hat und immer noch im Gewahrsam hält?

 

Der gegenwärtige Krieg im Libanon unterstreicht:  Eine dauerhafte Friedensregelung im Nahen Osten wird erst dann zustande kommen, wenn allen Seiten Gerechtigkeit widerfährt: Daher geht es um die Sicherung des Existenzrechtes Israels ebenso wie um die Durchsetzung der legitimen Rechte der Palästinenser auf einen eigenen, lebensfähigen Staat.

 

Alle, die jetzt so tun, als habe der Libanon-Krieg nichts damit zu tun, wollen nur dieser Frage ausweichen. Es geht um diesen Grundkonflikt und ohne dessen dauerhafte Lösung, werden auch die anderen schwierigen Fragen des Nahen und Mittleren Ostens nicht geregelt werden können. Dies gilt im übrigen auch für das Problem des Terrorismus. Wir brauchen eine Verhandlungslösung, die allen Seiten Gerechtigkeit widerfahren lässt, den Israelis, den Palästinensern, den arabischen Anrainerstaaten.

 

Viele fragen sich: Worum geht es eigentlich bei den umfangreichen Zerstörungsattacken der israelischen Armee im Libanon?

 

Eine Antwort lautet: Libanon soll – exemplarisch für andere arabische Staaten, eine Lektion erteilt bekommen: Ihr dürft euch nicht mit islamistischen Terroristen einlassen, lautet die Botschaft. Nur zur Erinnerung: Die Hizbollah ist im Libanon eine politische Partei, ist im Parlament vertreten und stellt zwei Minister. Dieses israelische Vorgehen passt haargenau in die Strategie von Mr. George W. Bush. Die gegenwärtige US-Regierung will nicht nur auf Terrorattacken mit der Demonstration militärischer Stärke reagieren, wie sie das in Afghanistan, im Irak und anderswo, getan hat. Nein, sie will gestützt über militärische Übermacht auch den gesamten Nahen Osten in ihrem Sinne „umgestalten“. Dass es dabei nicht nur uneigennützig zugeht, hat das Beispiel Irak überdeutlich gezeigt. Der Heißhunger der US-amerikanischen Erdölwirtschaft nach neuen Profitquellen war ein wichtiger Grund, um dieses Land zu überfallen.

 

Ein Sprecher des State Department hat es gestern in zynischer Offenheit so formuliert: Die Menschen in der arabischen Welt würden schon merken, dass sie nicht von den islamistischen Regimes im Iran oder Syrien verteidigt würden; dann würden sie sich auf kurz oder lang doch gemäßigten Führern zuwenden würden. Unter „gemäßigt“ werden selbstredend diejenigen verstanden, die bedingungslos mit den USA kooperieren wollen. Die US-Regierung setzt auf einschüchternde Militärmacht und sie unterstützt daher auch die Angriffe Israels im Libanon und im Gaza-Streifen. Doch diese Politik hat überall nur zur weiteren Eskalation der Gewalt beigetragen. Der sog. Krieg gegen den Terror erzeugt und nährt weiteren Terror und Anarchie, nichts weiter. Deshalb gilt mehr denn je: Terrorismus bekämpfen Ja; aber der Krieg gegen den Terrorismus muss beendet werden!

 

Dass Mr. Bush grünes Licht für die jetzige Militäraggression Israels im Libanon geben würde, war zu erwarten. Aber dass die Regierung der Großen Koalition hierzulande eine solch schändliche Rolle spielen würde, ist doch ein wenig überraschend. Es sind die Bush-Regierung, Mr. Blair in London und Frau Merkel und Herr Steinmeier in Berlin, die ein klares internationales Votum zur Verurteilung dieser Angriffe und für einen sofortigen Waffenstillstand bisher hintertrieben haben.

 

Das schmutzige Kalkül ist dabei: Man will Zeit gewinnen; damit Israel derweil Gelegenheit hat, seine militärischen Ziele zu erreichen. Dieses Kalkül schließt eben die Auslöschung von hunderten, ja möglicherweise tausenden von Menschenleben ein. Es ist daher eine schändliche Politik, die gegenwärtig von der Bundesregierung betrieben wird und es wird allerhöchste Zeit, dass wir dieser Regierung Dampf machen, damit sie ihre Politik ändert.

 

Deutsche Außenpolitik muss ganz entschieden zur Sicherheit Israels beitragen, das ist gewiss. Nur, die Sicherheit Israels wird durch die eigene Regierung dieses Landes, wie auch durch deren Vorgängerregierungen, permanent untergraben. Wer auf Kompromisslosigkeit und Expansion setzt, gefährdet die eigenen Interessen. Daher darf auch die Bundesregierung sich nicht auf kritikloses Schweigen zurückziehen.

 

Sie muss aktiv dazu beitragen, dass die Stimme der Vernunft auf allen Seiten gehört wird. Und die Vernunft besagt, um dies noch einmal zu unterstreichen: Ein sofortiger Waffenstillstand muss her – und Waffenstillstand gilt selbstverständlich auch für alle Seiten.

 

Statt hier besonders aktiv und initiativ zu werden, haben zumindest Teile der Bundesregierung eine Gespensterdebatte in den vergangenen Wochen über die Bundeswehr in Nahost geführt. Im Rahmen einer internationalen Militärmission wird laut über eine deutsche Beteiligung nachgedacht. Aber jeder, der nicht völlig geschichtsvergessen ist, weiß, dass gerade deutsche Soldaten ungeeignet wären, als unparteiische Friedensstifter dort aufzutreten. Außerdem: Wenn der Einsatz als einseitige Unterstützung gedacht ist, um Israel den Rücken freizuhalten, damit man besser gegen die Palästinenser in der Westbank oder im Gaza vorgehen kann, wäre ein solcher Einsatz auch prinzipiell abzulehnen. Für uns als Linke im Bundestag kommt daher ein Einsatz der Bundeswehr im Nahen Osten nicht in Frage und wir werden ihn, falls ein solcher Antrag in den Bundestag kommt, unmissverständlich ablehnen.

 

Statt über weitere Bundeswehreinsätze nachzudenken, sollte die Bundesregierung endlich die Waffenexporte nach Israel, die für das Besatzungsregime und Krieg eingesetzt werden können, stoppen. Das gilt für die Lieferung von U-Booten, wie für die geplante Lieferung von neuen Schützenpanzerwagen. Das haben wir als Linke im Parlament bereits energisch gefordert.

 

Wir alle sind jetzt aufgefordert, endlich aktiv zu werden: Ob es dabei um Mahnwachen, weitere Protestaktionen, oder um Leserbriefe an die Zeitungen geht. Durch Schweigen und Stillhalten wird sich nichts ändern und bessern. Nur wenn wir weiter aktiv bleiben und noch mehr Menschen gewinnen können, können wir helfen, die Not zu wenden. Und es ist verdammt notwendig, dass die Waffen endlich zum Schweigen gebracht werden, dass den betroffenen Menschen der Region endlich geholfen werden und dass endlich der Weg zu einem dauerhaften und gerechten Frieden in Nahost beschritten wird.