Liebe
Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
können
Sie sich vorstellen, ca. 20 Mio. Menschen – also etwa ein knappes Viertel der
Deutschen – wären hierzulande auf der Flucht, um einem gnadenlosen Bombenhagel
zu entgehen? Nein, werden wohl die meisten sagen und sie haben Recht. Es ist
nahezu unvorstellbar. Aber genau das ist die Lage heute im Libanon. Mindestens
800.000 Menschen sollen auf der Flucht sein, bei einer Gesamtbevölkerung von
knapp vier Millionen Einwohnern.
Seit
gestern ist das Land durch die Blockade der Häfen und die Zerstörung der
letzten Autostraßenverbindung völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Man kann
nur erahnen, wie schrecklich eine solche Lage für die Bewohner und
Bewohnerinnen dieses Landes sein muss. Der Gipfel des Zynismus ist erreicht,
wenn die israelische Luftwaffe zum Verlassen des Kriegsgebiets auffordert, aber
zugleich die Auswege rigoros versperrt. Gerade für die bisher noch nicht
mitgerechneten 400.000 palästinensischen Flüchtlinge, die z.T. schon seit
Jahrzehnten hier leben müssen, gilt, dass sie sich in einer verzweifelten Lage
befinden. Ihnen sitzt die Erinnerung an die Massaker von Shattila und Shaba
noch in den Knochen und auch jetzt müssen sie wieder das Schlimmste befürchten.
Alles in allem: Wir haben es mit einer humanitären Katastrophe zu tun und
deshalb lautet das Gebot der Stunde: Waffenstillstand sofort!
Wir
hören in unserem Land gebetsmühlenartig, Israel müsse sich verteidigen gegen
die Raketenangriffe der Hizbollah. Aber was hat die Zerstörung eines
Heizkraftwerks an der libanesischen Küste, die jetzt eine beispiellose
ökologische Katastrophe im Mittelmeer angerichtet hat, mit den Katjusha-Raketen
der Hizbollah zu tun? Was hat die Zerstörung von Lebensmittelfabriken im
Libanon mit den Katjusha-Raketen zu tun? Was hat die Zerstörung von Wohnhäusern
und damit verbunden die Tötung hunderter Zivilisten, nicht zuletzt vieler
Kinder mit der Hizbollah zu tun? Wenn ein Vergleich erlaubt ist, Vergleiche
hinken immer, so ist es, als wenn Sie von einem Nachbargrundstück mit Steinen
beworfen werden, und Sie legen daraufhin das Nachbarhaus in Schutt und Asche.
Der
Krieg, den Israel gegenwärtig führt, ist in jeder Hinsicht unverhältnismäßig.
Aber es geht nicht nur darum, dass er in der Wahl der Mittel unangemessen ist. Die Besetzung eines Teils des Landes, die
Zerstörung der Infrastruktur des Libanons und die Tötung hunderter,
wahrscheinlich sogar tausender unschuldiger Zivilisten, sind durch das
Völkerrecht in keiner Weise gedeckt. Im Gegenteil: Es handelt sich um glatten
Völkerrechtsbruch. Und um es noch genauer zu sagen: Israel führt einen
Angriffskrieg, der nach allem was wir wissen, nicht zuletzt das Ziel hat, die
libanesische Zivilbevölkerung und auch andere arabische Nachbarstaaten massiv
einzuschüchtern.
Daher
ist die UNO gefordert; der UN-Sicherheitsrat ist zuständig für den Weltfrieden
und die internationale Sicherheit. Er hätte längst eingreifen müssen, wie es
auch Generalsekretär Kofi Annan vehement eingefordert hat. Es ist eine Schande,
dass solche Staaten wie die USA und Großbritannien sich der Forderung nach
einem sofortigen Waffenstillstand widersetzt haben und damit ihren Teil dazu
beitragen, dass Völkerrechtsbruch nicht geahndet wird. Sie tragen ihren Teil
dazu bei, dass durch diesen Krieg eine humanitäre Katastrophe ausgelöst worden ist.
Wir
fordern von dieser Stelle aus ganz entschieden: Die Waffen müssen schweigen.
Und zwar sofort.
Wir
fordern, dass die Blockade der Häfen aufgehoben wird und humanitäre Korridore
geöffnet werden, damit die Zivilbevölkerung ausreichend versorgt werden kann.
Während
dieser Zeit können und müssen Verhandlungen beginnen, Verhandlungen, bei denen
es nicht zuletzt um einen Gefangenaustausch gehen muss, aber natürlich auch um
die Eindämmung der Gewalt an der libanesisch-israelischen Grenze. Das wird
nicht gehen, ohne einen politischen Prozess anzustoßen, der einen dauerhaften
und gerechten Frieden für den Nahen Osten bringen soll.
Wir
hören heute in unseren Medien immer wieder, dass es um die Durchsetzung einer
UN-Entschließung gehe, in der die libanesische Regierung zur Entwaffnung der
Hizbollah-Milizen aufgefordert worden ist. Selbstverständlich kann und muss
darüber geredet werden. Aber warum greift man sich gerade eine UNO-Resolution
heraus, deren Umsetzung unterblieben ist? Warum redet man nicht über
Resolutionen, wie die Resolution 242 des Sicherheitsrates, in denen Israel zum
Rückzug aus den besetzten Gebieten aufgefordert wird?
Es
wird wieder einmal, wie so oft wenn es um denn Palästina-Konflikt geht, mit
zweierlei Maß gemessen. Ein anderes Beispiel: Geiselnahme ist durch nichts zu
rechtfertigen und daher ist die Forderung, Menschen, die gekidnappt worden
sind, sofort freizulassen, nur allzu begründet. Von den entführten israelischen
Soldaten hören und lesen wir jetzt immer wieder. Ja, dies habe schließlich den
Krieg ausgelöst. Aber was ist mit den sechs Ministern der demokratisch
gewählten Regierung der Palästinenser, den zwanzig Abgeordneten, die Israel
zuvor entführt hat und immer noch im Gewahrsam hält?
Der
gegenwärtige Krieg im Libanon unterstreicht: Eine dauerhafte Friedensregelung im Nahen Osten wird erst dann
zustande kommen, wenn allen Seiten Gerechtigkeit widerfährt: Daher geht es um
die Sicherung des Existenzrechtes Israels ebenso wie um die Durchsetzung der
legitimen Rechte der Palästinenser auf einen eigenen, lebensfähigen Staat.
Alle,
die jetzt so tun, als habe der Libanon-Krieg nichts damit zu tun, wollen nur
dieser Frage ausweichen. Es geht um diesen Grundkonflikt und ohne dessen
dauerhafte Lösung, werden auch die anderen schwierigen Fragen des Nahen und
Mittleren Ostens nicht geregelt werden können. Dies gilt im übrigen auch für
das Problem des Terrorismus. Wir brauchen eine Verhandlungslösung, die allen
Seiten Gerechtigkeit widerfahren lässt, den Israelis, den Palästinensern, den
arabischen Anrainerstaaten.
Viele
fragen sich: Worum geht es eigentlich bei den umfangreichen Zerstörungsattacken
der israelischen Armee im Libanon?
Eine
Antwort lautet: Libanon soll – exemplarisch für andere arabische Staaten, eine
Lektion erteilt bekommen: Ihr dürft euch nicht mit islamistischen Terroristen
einlassen, lautet die Botschaft. Nur zur Erinnerung: Die Hizbollah ist im
Libanon eine politische Partei, ist im Parlament vertreten und stellt zwei
Minister. Dieses israelische Vorgehen passt haargenau in die Strategie von Mr.
George W. Bush. Die gegenwärtige US-Regierung will nicht nur auf Terrorattacken
mit der Demonstration militärischer Stärke reagieren, wie sie das in
Afghanistan, im Irak und anderswo, getan hat. Nein, sie will gestützt über
militärische Übermacht auch den gesamten Nahen Osten in ihrem Sinne
„umgestalten“. Dass es dabei nicht nur uneigennützig zugeht, hat das Beispiel
Irak überdeutlich gezeigt. Der Heißhunger der US-amerikanischen Erdölwirtschaft
nach neuen Profitquellen war ein wichtiger Grund, um dieses Land zu überfallen.
Ein
Sprecher des State Department hat es gestern in zynischer Offenheit so
formuliert: Die Menschen in der arabischen Welt würden schon merken, dass sie
nicht von den islamistischen Regimes im Iran oder Syrien verteidigt würden;
dann würden sie sich auf kurz oder lang doch gemäßigten Führern zuwenden
würden. Unter „gemäßigt“ werden selbstredend diejenigen verstanden, die
bedingungslos mit den USA kooperieren wollen. Die US-Regierung setzt auf
einschüchternde Militärmacht und sie unterstützt daher auch die Angriffe
Israels im Libanon und im Gaza-Streifen. Doch diese Politik hat überall nur zur
weiteren Eskalation der Gewalt beigetragen. Der sog. Krieg gegen den Terror
erzeugt und nährt weiteren Terror und Anarchie, nichts weiter. Deshalb gilt
mehr denn je: Terrorismus bekämpfen Ja; aber der Krieg gegen den Terrorismus
muss beendet werden!
Dass
Mr. Bush grünes Licht für die jetzige Militäraggression Israels im Libanon
geben würde, war zu erwarten. Aber dass die Regierung der Großen Koalition
hierzulande eine solch schändliche Rolle spielen würde, ist doch ein wenig
überraschend. Es sind die Bush-Regierung, Mr. Blair in London und Frau Merkel
und Herr Steinmeier in Berlin, die ein klares internationales Votum zur
Verurteilung dieser Angriffe und für einen sofortigen Waffenstillstand bisher
hintertrieben haben.
Das
schmutzige Kalkül ist dabei: Man will Zeit gewinnen; damit Israel derweil
Gelegenheit hat, seine militärischen Ziele zu erreichen. Dieses Kalkül schließt
eben die Auslöschung von hunderten, ja möglicherweise tausenden von
Menschenleben ein. Es ist daher eine schändliche Politik, die gegenwärtig von
der Bundesregierung betrieben wird und es wird allerhöchste Zeit, dass wir
dieser Regierung Dampf machen, damit sie ihre Politik ändert.
Deutsche
Außenpolitik muss ganz entschieden zur Sicherheit Israels beitragen, das ist
gewiss. Nur, die Sicherheit Israels wird durch die eigene Regierung dieses
Landes, wie auch durch deren Vorgängerregierungen, permanent untergraben. Wer
auf Kompromisslosigkeit und Expansion setzt, gefährdet die eigenen Interessen. Daher
darf auch die Bundesregierung sich nicht auf kritikloses Schweigen
zurückziehen.
Sie
muss aktiv dazu beitragen, dass die Stimme der Vernunft auf allen Seiten gehört
wird. Und die Vernunft besagt, um dies noch einmal zu unterstreichen: Ein
sofortiger Waffenstillstand muss her – und Waffenstillstand gilt
selbstverständlich auch für alle Seiten.
Statt
hier besonders aktiv und initiativ zu werden, haben zumindest Teile der
Bundesregierung eine Gespensterdebatte in den vergangenen Wochen über die
Bundeswehr in Nahost geführt. Im Rahmen einer internationalen Militärmission
wird laut über eine deutsche Beteiligung nachgedacht. Aber jeder, der nicht
völlig geschichtsvergessen ist, weiß, dass gerade deutsche Soldaten ungeeignet
wären, als unparteiische Friedensstifter dort aufzutreten. Außerdem: Wenn der
Einsatz als einseitige Unterstützung gedacht ist, um Israel den Rücken
freizuhalten, damit man besser gegen die Palästinenser in der Westbank oder im
Gaza vorgehen kann, wäre ein solcher Einsatz auch prinzipiell abzulehnen. Für
uns als Linke im Bundestag kommt daher ein Einsatz der Bundeswehr im Nahen
Osten nicht in Frage und wir werden ihn, falls ein solcher Antrag in den
Bundestag kommt, unmissverständlich ablehnen.
Statt über weitere Bundeswehreinsätze nachzudenken, sollte die Bundesregierung endlich die Waffenexporte nach Israel, die für das Besatzungsregime und Krieg eingesetzt werden können, stoppen. Das gilt für die Lieferung von U-Booten, wie für die geplante Lieferung von neuen Schützenpanzerwagen. Das haben wir als Linke im Parlament bereits energisch gefordert.
Wir
alle sind jetzt aufgefordert, endlich aktiv zu werden: Ob es dabei um
Mahnwachen, weitere Protestaktionen, oder um Leserbriefe an die Zeitungen geht.
Durch Schweigen und Stillhalten wird sich nichts ändern und bessern. Nur wenn
wir weiter aktiv bleiben und noch mehr Menschen gewinnen können, können wir
helfen, die Not zu wenden. Und es ist verdammt notwendig, dass die Waffen
endlich zum Schweigen gebracht werden, dass den betroffenen Menschen der Region
endlich geholfen werden und dass endlich der Weg zu einem dauerhaften und
gerechten Frieden in Nahost beschritten wird.