Aus "Neues Deutschland" vom 18.11.2003, Seite 4:

Bundeswehr hat noch immer geächtete Streubomben im Bestand

Experte: Völkerrecht verbietet Einsatz / Struck-Ministerium wiegelt ab

Die Bundeswehr verfügt über mehrere tausend, völkerrechtlich zumindest umstrittene Streubomben und vergleichbare Artilleriemunition. Diese Waffen töten, wie sich jüngst im Irak-Krieg gezeigt hat, unterschiedslos Soldaten wie Zivilisten.

Berlin (ND). Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums bestätigte am Montag einen Vorabbericht der ARD-Sendung »Report Mainz«, in dem ein bereits mehrere Male öffentlich gemachter Skandal aufgegriffen wird. In militärischen Kreisen hieß es, ein völliger Verzicht auf Streubomben sei zwar wünschenswert, aber wegen geltender NATO-Bündnisverpflichtungen derzeit nicht möglich.

Laut dem TV-Bericht verfügen Luftwaffe und Heer über mehrere tausend Streubomben. Konkrete Zahlen nannte das Verteidigungsministerium nicht, doch werde der Bestand nicht erweitert. Die verheerenden Waffen, die auch von der USA- und der britischen Luftwaffe genutzt werden, sind für die Tornado-Jagdbomber der Bundesluftwaffe vorgesehen. Der Sprecher von Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) verkündete, dass die Luftwaffe seit Mitte 2001 bereits 8000 Bomben des Typs BL-755 vernichtet habe, und dass deren Restbestand nun »deutlich darunter« liege. Die BL-755-Bomben verteilen sich in der Luft in eine Wolke aus 147 Kleinbomben, die am Boden großflächig für Menschen tödlich sind. Aus internen Quellen wird berichtet, das deutsche Heer habe im September 2002 zudem über 36972 Artillerie-Granaten des Typs M-77 verfügt, die je 644 Einzelbomben über dem Zielgebiet verstreuen. Die Angaben sollen auf einem Schreiben von Verteidigungs-Staatssekretär Walter Kolbow (SPD) beruhen.

Seit Jahren fordert die deutsche Friedensbewegung, dass diese Waffen aus dem Bestand der Bundeswehr entfernt werden. Laut »Report Mainz« forderte nun auch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse das Verteidigungsministerium auf, diese Bomben auszumustern. Seine SPD-Genossin, Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, will ein weltweites Verbot dieser Waffen. Auch die Chefin der Grünen, Angelika Beer, erhob diese Forderung.

Der Sprecher des Verteidigungsministeriums betonte indessen, eine spezielle völkerrechtliche Regelung, die den Einsatz generell verbiete, bestehe nicht. Im Rahmen des Einsatzes solcher Munition würden die »allgemeinen Beschränkungen des humanitären Völkerrechts« berücksichtigt. Der Völkerrechtsexperte Norman Paech hält die Bereitstellung von Streumunition dagegen für völkerrechtswidrig »Nach dogmatischen Gesichtspunkten des Völkerrechts gibt es keinen Zweifel, dass sie verboten sind«. Die Genfer Zusatzprotokolle von 1977 würden ganz eindeutig Methoden und Waffen verbieten, die unnötige Leiden verursachten.