Gastkolumne im ND vom 14.3.2003

Niemand will den Krieg

Von Johano Strasser

Der Politikwissenschaftler und Philosoph ist Präsident des deutschen PEN-Zentrums.

Niemand will den Krieg. Angela Merkel wiederholt den Satz seit Monaten. Niemand will den Krieg, sie nicht, Gerhard Schröder nicht, Tony Blair nicht und auch die Bush-Administration nicht. Niemand will den Krieg, und dennoch, so scheint es, kommt er mit unaufhaltsamer Schicksalhaftigkeit.

Das muss man den Menschen erst einmal erklären: wieso ein Krieg, den angeblich niemand will, dennoch nicht aufzuhalten ist. Freilich, auch das hören wir fast täglich von Frau Merkel und von anderen Unionspolitikern: dass man der Bush-Regierung mehr Verständnis entgegenbringen solle, dass Bush und Blair gewiss gute Gründe für ihre Haltung hätten, dass die deutsche Regierung gut daran täte, sich nicht gegen den Krieg festzulegen.

Es war schon immer Ausdruck moralischer Verantwortungslosigkeit, seine Hände in Unschuld zu waschen und die Dinge ihren schrecklichen Gang nehmen zu lassen. Wer erklärt, dass er den Krieg nicht wolle, aber nichts tut, um ihn abzuwenden, verhält sich wie seinerzeit Pilatus. Wer sich bei der Bush- Administration anbiedert, die unumwunden erklärt, dass sie notfalls auch ohne oder gar gegen die Vereinten Nationen den Irak angreifen werde, wer von Beweisen spricht, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besitze, obwohl der Öffentlichkeit bisher nur vage Hinweise oder sogar schlichte Fälschungen präsentiert wurden, wer die Bundesregierung jeden zweiten Tag auffordert, sich um der deutsch-amerikanischen Freundschaft willen ohne Wenn und Aber hinter die US-Regierung zu stellen, der sollte sich nicht noch als Friedensengel aufspielen.

Wenn es zum Krieg kommt, den angeblich niemand will, das steht für die Opposition schon fest, dann nicht zuletzt, weil die ablehnende Haltung der Bundesregierung den Krieg »wahrscheinlicher« mache. Auch diese perfide Argumentation hat Angela Merkel wiederholt mit sorgenvoller Miene vorgetragen. Dabei macht nichts den Krieg wahrscheinlicher als die Signale der Ermunterung, die die Unionspolitiker und einige europäische Regierungschefs unter Missachtung des manifesten Volkswillens den Falken um Bush über den Atlantik schicken.

Immer wieder hat die Opposition Gerhard Schröder unterstellt, er instrumentalisiere den drohenden Irak-Krieg für innenpolitische Zwecke. Dabei tut sie selber seit Monaten nichts anderes. Kein Wort darüber, dass ein Präventivkrieg dem geltenden Völkerrecht und der Charta der Vereinten Nationen widerspricht. Kein Wort zu den möglichen Folgen eines Krieges für die Menschen im Irak, für die Stabilität der Region. Kein Wort auch über die fast einhellige Ablehnung des Kriege in der europäischen Bevölkerung und den wachsenden Widerstand in den USA. Statt dessen Tag für Tag besorgte Erklärungen über die angeblich wachsende außenpolitische Isolierung Deutschlands.

Die Wahrheit ist: Noch nie hat ein deutsche Regierung von den Menschen Europas und der ganzen Welt so viel manifeste Zustimmung erfahren. Wann hat es das je gegeben, dass bei Massendemonstrationen in Großbritannien und den USA Schilder und Plakate mit einem deutschen Bundeskanzler als Hoffnungsträger mitgeführt werden: Thank you Mr. Schröder? Isoliert ist nicht die Bundesregierung, isoliert sind die Kriegstreiber Bush und Blair.

Um den Zustand der Opposition muss man sich allerdings Sorgen machen. In einem historischen Moment, da es um Krieg und Frieden geht, da die Autorität der Vereinten Nationen und der Respekt vor dem Völkerrecht auf dem Spiel stehen, da die Weichen für eine neue Weltordnung nach dem Zusammenbruch des Sowjetsystems gestellt werden und alles davon abhängt, ob in ihr die Stärke des Rechts oder das Recht des Stärkeren triumphiert, in einem solchen historischen Moment verlegt sie sich aufs Taktieren und Finassieren - und meldet sich damit auf einem zentralen Handlungsfeld der Politik ab.